Bin Ich Schon Erleuchtet
durchgeatmet.
Ich probierte sämtliche Yoga-Studios durch, getrieben von dem verzweifelten Bedürfnis, wenigstens ab und zu neunzig Minuten wirklich zu atmen, aber viel zu oft lenkten mich die tollen Sachen in den Geschenke-Shops ab, die so geschickt plaziert waren, dass man immer an ihnen vorbei musste. Ich wollte atmen, aber die Klassen waren überfüllt wie U-Bahnsteige in der Rushhour. In der U-Bahn hatte ich mich rasch an das Unvermeidliche gewöhnt – dass man die Atemluft seines Nachbarn recyceln musste –, aber beim Yoga führte das zu Herzrasen und Beklemmungen, also genau dem Gegenteil von dem, was ich erreichen wollte. Und wenn die anderen Schüler sich lauthals beklagten (so was tue ich nicht, ich bin aus Seattle), stellte sich zu meinem Entsetzen heraus, dass es den Yoga-Studio-Besitzern letzten Endes vor allem um den Profit ging.
Was ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen konnte. Auch Yoga-Lehrer müssen Miete zahlen. Und auf irgendeiner Ebene war es vermutlich erfreulich, dass so viele Leute bereit waren, sich in ein überfülltes Yoga-Studio zu quetschen. Vielleicht wollten die Inhaber so vielen Menschen wie möglich eine Chance geben, Yoga zu praktizieren. Trotzdem konnte ich allmählich nachempfinden, warum die frühen Protestanten auf die Exzesse des Vatikan so empört reagiert hatten. Sämtliche Studios, die ich ausprobierte, hatten kommerziell orientierte Partner, vertragliche Bindungen, Expansionspläne. Und als mich eines Tages die Inhaberin eines riesigen Studios am Union Square zu einer Party anlässlich der Präsentation ihrer neuesten Kollektion von Flashcards mit Yoga-Posen eingeladen hatte, dämmerte mir, dass mit meiner Zeit auf Bali wohl auch der Yoga, wie ich ihn kannte, zu Ende gegangen war. Die Veränderung der spirituellen Disziplin ging mindestens ebenso tief wie die, die ich mir für mich selbst gewünscht hatte. Yoga entwickelte sich zu einer Industrie.
Im zweiten Jahr in New York kümmerte ich mich nicht weiter um Yoga-Studios, sondern versuchte zu Hause regelmäßig zu üben. Jonah war die meisten Abende weg, und ich hatte Ruhe zum Meditieren, auch wenn für richtige Asanas zu wenig Platz war. Wenn Jonah abends zu Hause war, schloss er sich im Schlafzimmer ein, so dass ich meditieren konnte. Durch eine dünne Wand von ihm getrennt, chantete ich leise vor mich hin, weil ich wusste, dass wir beide losprusten würden, wenn ich zu viele Lang-vang-rang-yang-hang-ang-Oms sang.
Eine Weile hielt ich durch, doch dann nahm mich Mitte November eines Abends eine Freundin in ein Downtown-Studio mit, das mir tatsächlich gefiel. Klar, auch da gab es einen riesigen Shop neben dem Eingang, in dem man von Magneten mit Yoga-Weisheiten bis zu T-Shirts mit der Aufschrift BODY BY YOGA alles kaufen konnte. Aber das Studio gefiel mir trotzdem. Musste es ja.
Jonah und ich hatten uns wegen Weihnachten gestritten. Ich wollte nach Hause, er wollte bleiben und mit mir allein ein richtiges New Yorker Weihnachtsfest feiern. Keiner gab nach, und an jenem Nachmittag hatte ich solo meinen Heimflug gebucht und Jonah gesagt, dass ich Weihnachten nicht in New York verbringen würde.
Kaum hatten wir mit den Atemübungen begonnen, wusste ich, dass Jonah und ich uns versöhnen würden. Vielleicht würde ich nächste Weihnachten so weit sein, in New York zu bleiben. Oder er wäre bereit, mit mir nach Hause zu fliegen. Ich dachte nicht an die Achtzig-Dollar-Tanktops im Geschenke-Shop oder die Stimme der Lehrerin, die sie zu einem zarten Wispern gedimmt hatte. Ich redete mir sogar ein, dass ich in diesem klaustrophobischen, stickigen Kursraum lernen konnte, unter Stress zu entspannen.
Ich fühlte mich beschwingt, gestärkt, in meiner Adoptivstadt angekommen.
Voller Eifer stürzte ich mich auf meine Asanas. Es war eine riesige Erleichterung, wieder zu atmen, zu dehnen und die Gedanken zu klären. Ich wollte mich immer so fühlen. Ich wollte in meinem Yoga-Studio leben. Bald war sogar der Shop eine willkommene Station auf dem Pfad zu meinen Yoga-Haltungen. Immer wenn ich in den Kurs ging, riefen mich die teuren Yoga-Tops zu sich. Die Après-Yoga-Wickelpullis pfiffen mir hinterher. Bücher, CDs und DVDs warfen sich mir zu Füßen. Öle, Neti-Kännchen und Kerzen lockten mich mit ihrem Sirenengesang zu den Felsen – oder besser gesagt, zu den glatten Kieselsteinen für sechzehn Dollar, die mit ihrer wunderbaren Fengshui-Textur im trauten Heim den Fluss des Chi verbessern konnten.
Ich wollte
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