Bin Ich Schon Erleuchtet
machen kann. Man kriegt sein Yoga mit oder ohne Gott. Yoga-Kurse sind sowieso schon irrsinnig teuer, und deshalb kommen nur Frauen aus einem bestimmten Milieu – Mittelschicht, obere Mittelschicht – in Frage. Solche Frauen shoppen gerne. Sie kriegen beim Shoppen einen spirituellen Höhepunkt. Bei diesem Yoga gibt es zwei spirituelle Übungen zum Preis von einer. Eine erstaunliche kommerzielle Erfolgsstory! Muss man ein Bedürfnis schaffen? Nicht nötig. Das Bedürfnis existiert immer. Es wurde von zahllosen Religionen befriedigt, die als Gegenleistung für unseren Seelenfrieden häufig Geld verlangt haben. Aber Yoga übertrifft sie alle, und die Anbieter machen nicht mal einen Hehl daraus. Sie platzieren ihre Shops direkt neben dem Eingang.
Ich dachte an Lara, die sich auf Bali über die vielen Renommier-Yogis in ihren Designerklamotten beklagt hatte, und mich durchzuckte ein kurzer, heftiger Schmerz. Ich vermisste meine Mit-Yogis. Ich vermisste die Schlichtheit unserer Übungen, ihre Ernsthaftigkeit. Unglaublich, aber wahr: Ich wollte wieder mit Pissetrinkern Yoga machen.
Meine Yoga-Übungen mussten wieder einen Sinn haben. Sie mussten mehr sein als eine kommerzielle Transaktion oder eine Selbsthilfegruppe für Privilegierte. Ich wollte nur noch Yoga machen, wenn es nichts kostete oder auf Spendenbasis angeboten wurde. Ich würde kein unnötiges Yoga-Spielzeug mehr kaufen. Zum ersten Mal stand ich genau am Schnittpunkt von Orthodoxie und Zynismus: Je mehr Yoga-Studios in mir die Überzeugung nährten, dass diese Yuppie-Version von kommerzorientierter Feelgood-Spiritualität zynisch bis ins Letzte war, desto klarer schien mir, dass nur die Puristen wissen, wo es langgeht. Keine der berühmten Yoga-Lehrerinnen wusste es, keine von ihnen verstand, worum es beim Yoga ging. Offenbar kapierte es niemand außer mir. Und so beschloss ich, den Berg als letzte lebende Yogini allein zu erklimmen. Aber immer wenn ich dasaß und meditierte, gratulierte ich mir insgeheim, wie viel Geld ich sparte, wenn ich nicht in Yoga-Studios ging, und dass ich ja so viel erleuchteter war als die Yoga-Industrie, und bald darauf musste ich mir eingestehen, dass ich es auch nicht raffte. Vielleicht boten sich für diese spirituelle Disziplin so viele verschiedene Ausdeutungen an, dass man sie leicht verunstalten konnte. Eine spirituelle Disziplin für Leute wie mich, die die Vorstellung, dass es einen Gott gibt, gelegentlich cool finden und dann auch wieder nicht, die den Unterschied zwischen einer spirituellen Offenbarung und einem Kaufrausch nicht kennen. Was zum Teufel ist das für eine Spiritualität?
Also hörte ich auf zu üben. Und obwohl ich darüber nachdachte, davon träumte, darüber schrieb und mich darüber beklagte, hatte ich nicht die Absicht, je wieder damit anzufangen. Was zum Kuckuck suchte ich schließlich in einer spirituellen Gemeinschaft, die mich in ihren Reihen haben wollte?
21. April
Die Sonne ist aufgegangen. Hähne und Hunde wetteifern mit dem Feuerwerk. Es knattert wie Gewehrsalven, als wären die Japaner wieder da und wollten die Insel zurückerobern.
Schon die Erinnerung an die gestrige Klasse treibt mir die Tränen in die Augen. Aber ich beherrsche mich, denn ich will vom Rest des Tages berichten. Es war ein heroischer Tag. Ich lebte tausend Leben und bin immer noch wach genug für ein weiteres.
Nach dem Unterricht wollte ich nur noch nach Hause und ins Bett. Ich wollte den Tag verschlafen, nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich hatte vergessen, dass Noadhi bei uns war und Ingweramulette für alle Türschwellen und Fenster schnitzte, um uns vor unserem Wischmopp-Geist zu schützen. Vor dem Sonnenuntergang wollte er uns nicht im Haus haben.
Als Jessica mich daran erinnerte, war ich, milde gesagt, wenig erfreut. Nein, das ist eine Untertreibung. Ich war stinksauer. Und nahe daran, diesen ganzen Geisterkram für Blödsinn zu erklären. Geistergeschichten machen Spaß, wenn einem die Kerle nicht in die Quere kommen, aber ich hatte mich erst in der Klasse und dann noch mal mit Indra leergeheult und sollte mich jetzt wegen einem besessenen Wischmopp den ganzen Nachmittag in der Stadt rumtreiben? Meine Augenlider waren rot und geschwollen, und mein Kopf brummte. Ich war gedemütigt. Ich war angepisst. Ich hasste es, in der Öffentlichkeit zu weinen. Hasse es.
Jessica warf mir einen Seitenblick zu und zog mich von unseren Mit-Yogis fort. Beim Gehen redete sie so atemlos, als liefere sie sich ein Wettrennen mit
Weitere Kostenlose Bücher