Bin Ich Schon Erleuchtet
unseren schlimmsten Impulsen.
»Suzanne«, keuchte sie und zog mich am Arm vorwärts, »ich weiß, dass du gerade richtig schlecht drauf bist, und ich weiß, wir können nicht nach Hause, aber wir sollten jetzt wirklich keinen Kokosnuss-Vanille-Milkshake trinken.« Sie zerrte mich den Waldpfad entlang und die vier Millionen Stufen nach Campuhan hinunter. »Wir sollten uns auf den Pfad konzentrieren«, sagte sie und drängelte sich wie ein Quarterback auf dem Weg zum Touchdown mit der Schulter voran durch die Taxifahrer und Ladenbesitzer auf der Hauptstraße von Ubud. »Wir sollten unseren Blick auf das Ziel richten.« Wir hasteten an der Bar vorbei ins Restaurant Casa Luna, setzten uns an einen Tisch, und als die Kellnerin kam, gaben wir ohne jegliches Zögern wie aus einem Mund unsere Bestellung auf.
Die Milkshakes waren noch genauso köstlich wie in unserer Erinnerung.
Bis ein kleines Problem auftauchte. Eben noch hatten wir uns, kichernd wie Schulmädchen, an unseren Milkshakes gelabt, und nun starrten wir schon in leere Gläser.
Das war ein Problem.
Aber keine Sorge! Wir lösten es blitzschnell.
Wir wollten gerade zwei weitere Shakes bestellen, als eine von uns auf der Speisekarte etwas entdeckte. Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden. Okay, vielleicht doch. Na gut, ich war’s. Ich habe den Brownie entdeckt. Mit »entdecken« meine ich, dass mir dieser Brownie jedes Mal ins Auge sticht, wenn wir im Casa Luna essen, und ich gelegentlich davon träume, mit ihm meinen ganzen Körper zu salben.
Aber wir sprechen hier natürlich nicht von irgendeinem Brownie. Kein herkömmlicher Brownie würde solche Träume auslösen. Dieser Brownie hat die Ausmaße eines Ziegelsteins, und wenn man ihn mit der Gabel anpiekst, fließt geschmolzene Schokolade heraus. Damit es nicht zu einem Schoko-Overkill kommt, häufen sie noch drei Kugeln Vanilleeis drauf. Und über das Ganze gießen sie aus purer Lust und Tollerei einen halben Liter Karamellsoße.
Diese sündige Kreation heißt Killer Brownie, und laut Speisekarte ist sie DAS BESTE DESSERT IN UBUD!!!!!!!
»Wir nehmen es«, sagte ich zu der Kellnerin, die nickte und ihren Block zückte.
»Halt!«, unterbrach Jessica. Sie war besorgt. »Das geht ein bisschen zu weit, oder? Ach nein, lieber doch nicht. Das dürfen wir nicht. Wir sollten an den Pfad denken, oder? Wir sollten an den höheren Vogel denken, oder?«
Ich blickte ihr lächelnd in die blauen Augen. »Weißt du was, Süße? Scheiß auf den höheren Vogel.«
Sie war sprachlos. Dann kicherte sie los. »Oh, du bist schlimm«, flüsterte sie fast ehrfürchtig. »Scheiß auf den höheren Vogel!«
Ich wandte mich wieder der Kellnerin zu; unangenehm war mir nur, dass wir sie hatten warten lassen. »Einen Killer Brownie«, sagte ich. »Zwei Löffel.«
Jessica bog sich immer noch vor Lachen. »Scheiß auf den höheren Vogel«, ächzte sie, das leere Glas hoch erhoben. Sie klang wie ein Kind, das zum ersten Mal ein Schimpfwort ausspricht.
»Scheiß auf den höheren Vogel«, rief ich und prostete ihr zu.
»Bring mir eine Schleuder«, sang sie kess.
»Jess, du Fels in der Brandung«, rief ich.
Was passiert, wenn man zu viel Zucker auf einmal schluckt, nachdem man zwei Monate lang praktisch abstinent war? Es haut einen um. In null Komma nichts drehten wir auf, als hätte jedes einzelne Nervenende seinen eigenen Kundalini-Durchbruch. Ich versicherte Jessica, sie sei die Größte. Sie versicherte mir, ich sei die Größte.
»Nein, du bist die Größte.«
»Nein, du bist die Größte.«
»Du bist größerer.«
»Du bist größerer.«
»Du groß!«
»Du größer!«
Na ja. Wir fanden das zum Totlachen, aber auf dem Papier sieht es irgendwie nicht so witzig aus. Egal. Jedenfalls brauchten wir etwas gegen den Zucker-Flash, sonst hätten wir uns als Nächstes die Kleider vom Leib gerissen. Jessica schlug Kaffee vor. Zwei winzige Tässchen Cappuccino, die uns auf die Erde zurückholen sollten.
Voulez-vous scheißen auf das höhere Vögelchen avec moi ce soir?
Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zu einer Flasche Rotwein und danach zwei winzigen Gläschen Portwein, und dann beteuerten wir uns gegenseitig, wie sehr wir uns liebten und dass wir auf ewig Freundinnen bleiben würden und noch eine Flasche Rotwein brauchten, um auf unsere Freundschaft anzustoßen. Man kann nicht mit leeren Gläsern auf die Freundschaft anstoßen!
»Weißt du was?«, nuschelte Jessica und beäugte die Überreste der
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