Bin Ich Schon Erleuchtet
weiter zu der Reflexologie-Praxis, von der Marianne gelesen hatte. Und dort ging es mit den Sexphantasien los. Mein Reflexologe war ein sehr gut aussehender Typ mit einer Fransenfrisur und markanten Gesichtszügen. Ich war bei der Massage angezogen, aber das hieß nur Sarong und Tanktop. Nicht wirklich viel Stoff. Er fing bei einem Fuß an und arbeitete sich nach und nach zum Knöchel vor, wobei er mit beiden Händen mein Bein umfasste, als wolle er es erwürgen. Auf diese Weise rutschte er bis zum Oberschenkel hoch. Dort setzte er seine kreisenden Bewegungen mit den Händen fort, obwohl – mir zumindest – klar war, dass er längst nicht mehr nur mein Bein massierte. Ogottogott, es war mir hochnotpeinlich. Aber aufhören sollte er auch nicht.
Aber natürlich hörte er auf, und zwar, bevor mir irgendetwas zu Recht peinlich sein konnte. Danach verabschiedete sich Marianne mit der Begründung, sie wolle sich auf den morgigen Unterricht vorbereiten. Oder, wie sie es formulierte: »Ich will mich einschwingen, versteht ihr.« Wir anderen trabten zurück ins Casa Luna zum Abendessen, und ich überraschte meine zölibatären Freunde mit der Mitteilung, dass mir gerade die erotischste Massage meines Lebens zuteilgeworden sei. Ich kam mir ein bisschen pervers vor, aber zum Glück war ich in guter Gesellschaft. Jason unterhielt uns mit Geschichten von seinen Reisen durch Südostasien und einer Massage in Thailand, die ein unerwartet glückliches Ende genommen hatte.
»Ich wusste nicht, was ich machen sollte«, sagte er verlegen. »Die Frau packte einfach zu, bevor ich nein sagen konnte. Und als sie mal anfangen hatte, wäre aufhören echt hart gewesen.«
» Hart ist das entscheidende Wort, Ladies«, grinste Lara. »Aber wenn dich heute eine Masseurin fragt, ob du eine spezielle Massage willst, Jason, dann weißt du, was sie darunter versteht.«
Bald darauf tauchten Bärbel und Marcy auf und klinkten sich mit Begeisterung in unser Gespräch ein. Marcy erzählte, sie und ihr Mann hätten tantrischen Sex praktiziert. Jessica, Lara und ich lauschten wie gebannt, als sie die jährlichen Workshops beschrieb, in denen sie gelernt hatten, seine Orgasmen zu verlangsamen und ihre zu vervielfachen. Der Reis auf unseren Tellern wurde kalt.
»Mein Gott«, sagte Lara. »Glaubt ihr, dass Indra und Lou auch tantrischen Sex praktizieren? Wie Sting und Trudy Styler?«
Marcy deutete mit der Gabel auf Bärbel. »Bärbel weiß es.« Bärbel protestierte, aber Marcy unterbrach sie. »Ach, hör auf. Du kennst Lou doch seit Jahren.«
Bärbel kicherte. »Ja, schon, aber solche Fragen stelle ich gewöhnlich nicht.« Sie stülpte die Lippen zu einem lasziven Kussmund auf und senkte die Lider, was bei ihr sehr unschuldig und albern aussah. » Praktiziert ihr beiden eigentlich Tantra, du und deine Geliebte? Ja, klar, so was fragt man seine Freunde doch gerne mal beiläufig. Und außerdem kenne ich Indra nicht so gut. Lous erste Frau kannte ich viel besser.«
»Seine erste Frau?«, fragte Jessica.
»Ja«, antwortete Bärbel. »Sie war eine gute Lehrerin. Sehr klug. Ich habe hier im Wantilan bei den beiden gelernt. Und dann taucht auf einmal Indra als Schülerin auf, und schwups, lässt sich Lou von seiner Frau scheiden und unterrichtet mit Indra zusammen.«
Ich weiß nicht mehr genau, was dann passiert ist, auf jeden Fall drehten alle total durch. Es kursieren ständig Geschichten von Gurus, die mit ihren Schülerinnen schlafen, und für meine Mit-Yogis gehörte Bärbels Neuigkeit in diese Kategorie. Marcy war empört; sie hatte in Kalifornien bei jemandem gelernt, von dem man wusste, dass er mit seinen Schülerinnen schlief, und sie hatte sich geschworen, einem Guru wie ihm nie wieder auf den Leim zu gehen. »Aber möglicherweise hat Indra ihn ja so bezaubert, dass er seine Frau verlassen hat«, sagte sie. »Es klingt vielleicht sexistisch, aber sie ist schön und charismatisch, und vielleicht konnte Lou ihr einfach nicht widerstehen?«
Verrückt – alle scheinen sich einig zu sein, dass Indra schuld ist. Sie waren schon länger sauer auf sie, weil sie Jessica wegen dieser Geldsache angemacht hat, aber das hier war ein ganz anderes Paar Stiefel. Plötzlich war Indra, die Frau, die man vor sechs Wochen noch praktisch für erleuchtet gehalten hatte, nur noch Lous Geliebte, eine gewöhnliche Verführerin, eine Ehebrecherin.
Und dann sprach Bärbel das Zauberwort aus, das eine Handvoll Yoga-Schüler in Yoga-Ketzer verwandelte: »Wisst ihr,
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