Bin Ich Schon Erleuchtet
Sofort.
21. April
Mannomann.
Wir haben einen freien Tag. Gott sei Dank. Wir haben beide länger als gewöhnlich geschlafen, und nach dem Aufstehen nahm Jessica ihren Starbucks-Becher nicht mit ins Bad. Sie sitzt jetzt auch nicht auf der Veranda und nippt. Seit über einer Stunde hängen wir beide über dem Tisch, lesen oder schreiben in unsere Hefte und reden kaum. Es ist ein bisschen ungemütlich. Jessica ist irgendwie anders als sonst und ich auch. Ich weiß, woran es liegt. Mit uns am Tisch sitzt die Sünde, die Verfehlung, mit der keine von uns richtig umgehen kann.
Scheiß auf den höheren Vogel.
In einer einzigen Nacht, mit einem einzigen Satz, haben wir etwas Heiliges besudelt. Das erinnert mich an die Leute, die in dem Monat nach dem 11. September Witze reißen wollten. Es fühlte sich einfach falsch an.
Jessica will zur Gehmeditation in die Stadt. Ich sollte wohl mit. Ich fürchte, wir kriegen Ärger. Ich habe ein Gefühl, als würde ihre Mutter meine Mutter anrufen, oder so. Buße.
Abend
Ich musste an etwas denken. Nein, Blödsinn, an jemanden . Den Matrosen. Ich hatte ein Bier und einen Drink mit einem Schirmchen. Und die haben mich daran erinnert, dass ich mich manchmal dem Matrosen an den Hals werfen will und es dann doch nicht tue. Wegen meines Freundes. Betrügen ist FALSCH.
In jeder Hinsicht falsch. WILL KEINE falsche Schlange sein. Keine Femme fatale. Die fatale Transzendentale.
Aber wenn alles sowieso eine Illusion ist, was dann? Und wie steht’s mit Nichtanhaftung? Hallo?
Da ist was dran. Bin müde. Jonah ist Liebe.
Bett.
22. April
Gute Güte.
Komische Sache, das mit meinem Yoga-Retreat. Ich verwandle mich von einer asketischen Streberin auf der Suche nach Weisheit und Wahrheit in eine versoffene, geile Bridget Jones. Wohl kaum ein Aufstieg, spirituell gesehen.
Gestern hatte ich angenommen, Jessica und ich würden zur Gehmeditation in die Stadt wandern. Als Bußübung, weil wir am Abend vorher den höheren Vogel so gründlich beschissen hatten. Tja. Falsch gedacht. Vielleicht hätte ich darauf gefasst sein müssen, weil uns schließlich andauernd gepredigt wurde, dass unsere Wahrnehmung der Welt und der Menschen mangelhaft ist. Dass wir manchmal Gedanken und Gefühle bei anderen Menschen zu erkennen glauben, die in Wahrheit unsere Gedanken oder Gefühle sind. Jessica hatte keinen Bock auf Buße. Sie hatte Bock auf Schuhe.
Unsere Gehmeditation führte uns schnurstracks zu Jessicas perlenbesetzten weißen Hochzeitsschuhen. Ich zockelte hinter ihr her und sah zu, wie sie die Boutique betrat und die abwehrenden Gesten der Verkäuferin ignorierte. Sie bot ein ansehnliches Sümmchen und stakste mit der Zukunft an den Füßen wieder heraus. Sie würde diese Schuhe hier nur einmal tragen, sagte sie, und sie dann für ihre Hochzeit aufheben.
Danach schlenderten wir über den Markt, wo wir Marianne trafen, die ihre rotbraunen Haare mit einem pinkfarbenen Schal zusammengebunden hatte. Sie hatte geshoppt. Wir blieben eine Weile stehen und quatschten, und Marianne erzählte, sie und Indra hätten herausgefunden, dass sie beide auf dieselbe Art beim Yoga hängengeblieben seien. Weil sich die Stellungen angefühlt hatten, als »würde man nach Hause kommen, versteht ihr«. Sie kriegte einen leicht irren Blick, nickte stumm, und ihre braunen Augen wurden glasig. Dann lächelte sie und hauchte: »Wow!«
Anscheinend haben sie und Indra eine tiefe spirituelle Verbindung. Wenn ich das höre, könnte ich kotzen, aber egal.
Komischerweise hörte ihre »Ich-entschwebe-in-eine-andere-Dimension«-Attitüde schlagartig auf, als wir vor dem Prada-Schaufenster standen. Sie wurde auf einmal extrem fokussiert, rauschte durch den Laden und begutachtete Tasche um Tasche. Schließlich verkündete sie mit lauter, entschiedener Stimme, sie seien wundervoll. Sie sei sich nicht völlig sicher, meinte sie, aber irgendwo hätte sie etwas über Geschäfte gelesen, die echte Taschen zollfrei verkauften. Ihr ganzes exzentrisches, abgedrehtes Getue war wie weggeblasen. Ganz Geschäftsfrau, zückte sie ihre Kreditkarte und kaufte eine der größeren Handtaschen plus drei Brieftaschen. Fast wäre ich eingeknickt und hätte meine Tasche gekauft, aber in letzter Sekunde brachte ich es doch nicht fertig.
Ich will kein Einfaltspinsel sein. Nicht mal dann, wenn meine Tasche mir vom Regal aus einladend komm nach Hause zusäuseln würde, als wäre ich Marianne.
Im Casa Luna trafen wir Jason und Lara und zogen zu fünft
Weitere Kostenlose Bücher