Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
schon auf das Kontrastprogramm zu meinen unerhörten Geschichten aus dem Grundschulalltag, und so lasse ich mich kurze Zeit später auf den Beifahrersitz fallen.
»Schau dir das an«, meint Sarah, als wir neben einer Bushaltestelle zum Stehen kommen, an der eine junge Frau mit Kinderwagen wartet und eine Zigarette raucht. »Ob die wenigstens in der Schwangerschaft ’ne Qualmpause eingelegt hat?«
In diesem Moment fällt mir Sebastian ein, der Junge, der Geierchens und meine Klasse besuchte. Von seiner Mutter hat man sich an der Schule erzählt, dass sie bis kurz vor der Geburt ihrer Söhne noch ganz andere Sachen als Nikotin konsumiert hat.
»Gab es da nicht auch mal ein Mädchen, dessen Mutter ohne Schuhe und sternhagelvoll auf dem Schulhof auftauchte? Die hat den Klassenkameraden ihrer Tochter doch sogar Prügel angedroht … Was war da noch mal los?«
»Ach, die hatten das Facebook-Passwort der Mutter geknackt und all ihren Freunden krasse Schweinereien geschickt.«
Sarah schüttelt den Kopf. »So viel auch über die typischen Prenzl-Muttis gelästert wird«, denkt sie laut, »lieber Chinesischunterricht für Dreijährige als eine Mutter in der Entzugsklinik! Oder barfuß auf dem Schulhof.«
Während der weiteren Fahrt frönen wir unserer gemeinsamen beruflichen Leidenschaft und diskutieren die Vor- und Nachteile frühkindlicher Förderung. Nach ein paar Minuten hält Sarah jedoch inne und schaut mich von der Seite an. »Was meinst du: Sind wir auch schon so Eltern-Freaks?«
Wir erinnern uns an Frikka und Rouwen auf Krk und versprechen uns hoch und heilig, Klara stets das pädagogische Versprechen zu erfüllen, das wir ihr und ihrem Umfeld schuldig sind: Grenzen setzen.
»So lange uns Klara später nicht beim Vornamen nennt«, fällt mir dabei ein, »ist doch eigentlich alles in Ordnung.«
»Wieso?«, will Sarah wissen. »In meiner Familie kommt das auch vor. Was ist daran so schlimm?«
»Schlimm ist daran gar nichts«, lenke ich schnell ein. »Ich find’s bloß … ungewohnt.«
Diese Angewohnheit stammt meines Wissen aus einer Zeit, in der Eltern nicht auf die Rolle als Mutter und Vater reduziert, sondern von ihren Kindern als vollwertige Individuen betrachtet werden wollten – was sich meines Erachtens keineswegs ausschließt. Bei mir zumindest ist die Angewohnheit, Mama und Papa zu sagen, so tief verwurzelt, dass ich die Vornamen meiner Eltern auch heute noch kaum über die Lippen bekomme – und trotzdem ist mir natürlich klar, dass sie auch während meiner Kindheit ein Leben außerhalb ihrer Rolle als meine Erziehungsberechtigten hatten.
Auf unserer ausgiebigen Parkplatzsuche am Helmholtzplatz gehen Sarah und ich noch ein paar weitere Spielarten freakiger Eltern durch. Dazu fällt uns die absurde Angewohnheit mancher Leute ein, sich auch in Abwesenheit der Kinder gegenseitig als Mama und Papa – oder wie es im Osten heißt: Mutti und Vati – zu bezeichnen. Und dann wären da noch die Kinder, in deren Elternhäusern weder Süßigkeiten noch Fernsehen existieren. Bei Freunden plündern die Nachkommen solcher Tabuisten natürlich umgehend sämtliche Schokovorräte und setzen sich so lange vor die Glotze, bis sie viereckige Augen haben. In Diskussionen über die Helden der coolsten Comicserien verstehen solche Freilandkinder nur Bauernhof – kein Wunder, haben die Eltern ihnen doch jegliche Chance genommen, einen maßvollen Umgang mit solchen Verlockungen zu erlernen.
Vor einem Bioladen finden wir endlich einen Parkplatz und erleiden schon beim Aussteigen einen kleinen Kulturschock. Im Gegensatz zu unserer Wohngegend springen hier deutlich mehr Kinder auf dem sauberen Gehweg umher. Das allein ist nicht das Bemerkenswerte, sondern eher das, was dem Betrachter (vor allem dem aus anderen Stadtteilen) beinahe schlagartig ins Auge springt: Fast alle Kinder sind blond.
»Tjorven«, ruft eine Mutter, die ganz in der Nähe auf einer Bank sitzt und dem Nachwuchs beim Toben zusieht, »möchtest du noch einen Apfelring?«
Aus ihrer Baumwolltüte holt sie aber nicht etwa einen der sauren Gummiringe, die ich mit diesem Begriff verbinde, sondern ein Stück Trockenobst. Und zu meiner großen Überraschung ist Tjorven auch gar keine Junge, sondern ein Mädchen, das sich das gedörrte Stück Obst nun genüsslich einverleibt, bevor es auf seinem Laufrädchen aus Holz weiterdüst.
Während Sarah auf den Rücksitz unseres Dreitürers krabbelt, um Klara aus der Sitzschale zu befreien, baue ich den Kinderwagen
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