Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
beendet, bei dem die Eltern ihre Kinder in die Mitte eines Kreises halten und laut mitsingen sollen. Dieter hat sich die Aufforderung offenbar besonders zu Herzen genommen, was seine Tochter genauso sehr freut wie Piet und mich. Miteinander ins Gespräch vertieft steigen Sarah und die Rockerbraut mit den Kids auf dem Arm aus dem Becken.
»Hi, ich bin Betty«, stellt sich mir die rothaarige Amazone vor, während sich auch Sarah und Piet die Hände schütteln. »Hab schon mit Sarah abgemacht, dass wir mit den Kids noch ’nen Kaffee trinken gehen.«
»Supi – da sind wir doch dabei!«, sagt eine Männerstimme hinter uns plötzlich, und weil die Einladung ja eigentlich eher an Sarah und mich gerichtet war, drücken sich alle erfolgreich um eine Reaktion. »Ich bin übrigens der Dieter«, stellt sich der große Mann dann vor und reicht Betty die Hand. »Ihr habt ja echt voll coole Tattoos«, fügt er hinzu und lacht grunzend, als er auch Piets Hand schüttelt.
Als sich Dieter und Piet in die Augen blicken, habe ich für einen Moment das Gefühl, die Zeit bleibe stehen. Hier prallen gerade zwei derart unterschiedliche Welten aufeinander, dass das Gleichgewicht des Universums jeden Moment ins Wanken geraten könnte. Vor meinem inneren Auge wird die unendliche Weite des Kosmos in wenigen Momenten von einem schwarzen Loch verschluckt, das sich anschließend mit einem ploppenden Geräusch verschließen und nichts als einen weißen Raum hinterlassen wird. Meine astronomische Endzeitvision tritt natürlich nicht ein, stattdessen geht’s unter die Dusche. Dort kann ich schon wenige Minuten später mein bisher sehr begrenztes Wissen über Intimpiercings deutlich erweitern, als Piet neben mir das Wasser aufdreht.
Nach zwanzig Minuten treffen wir die Damen vor dem Schwimmbad wieder, wobei einmal mehr deutlich wird, dass Kleider Leute machen. Auf der einen Seite befindet sich also das Rockabilly-Pärchen mit dem Retro-Kinderwagen, den großen Sonnenbrillen, dem kurzen Rock, der kaputten Jeans und den schweren Stiefeln, und auf der anderen Seite der urbane Wandersmann mit dem Sportkinderwagen, der sich mit ein paar Handgriffen zum Fahrradanhänger umfunktionieren lässt. Als wir den gemeinsamen Spaziergang zum nahe gelegenen Elterncafé antreten, wippt Dieter bei jedem Schritt so stark auf und ab, dass der Schlüsselbund, der mit einem Karabinerhaken an seiner Gürtelschnalle befestigt ist, noch lauter klimpert als die Kette, die Piets Portemonnaie mit seinem Nietengürtel verbindet.
So nähern wir uns rasselnd und in oberflächliche Gespräche vertieft dem Elterncafé, das schon von außen als solches erkennbar ist. Auch hier schlägt mal wieder die Liebe meiner Landsleute zu Gegenständen mit vier Rädern durch, wenn auch ganz anders als auf der Autobahn. Im Vorgarten steht ein ganzer Fuhrpark aus Kinderwagen, Buggys und Bollerwagen verschiedenster Aufmachung. Von klassisch bis modern ist alles dabei – nur eines, das weiß ich aus eigener Erfahrung, haben alle gemeinsam: den hohen Preis. Doch wie bei den motorisierten Varianten auch scheint den Eltern in der Freak-Republik jeder Preis für die Fortbewegung ihres Nachwuchses angemessen.
Im Eingang des Cafés bleibe ich kurz stehen und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, in dem mindestens zwanzig junge Mütter zwischen Bauklötzen, Spielbögen und Stoffbüchern auf Matratzen sitzen. Ihre Babys haben sie auf dem Arm, der Matratze oder an der Brust abgelegt. Im mittleren Teil des Raumes wischt die hochschwangere Kellnerin gerade eine weiße Flüssigkeit auf, weiter hinten werden zwei Babys gewickelt. Eine entsprechende Aromamischung aus Pflegetüchern, Babybrei und Kaffeebohnen liegt in der Luft. Gemeinsam mit unseren neu gewonnen Freunden staksen wir zwischen Spielzeugen und Krabbelkindern auf Socken zu einer freien Matratze und legen unsere drei Babys in die Mitte. Als die Kellnerin zu uns kommt, sitzen wir zu fünft im Schneidersitz um unsere Kids herum. Weil Klara noch gestillt wird und Sarah unter einer Laktoseintoleranz leidet, fragt sie nach einem entkoffeinierten Latte macchiato mit Sojamilch.
»Einmal Decaff-Soy-Latte, gern!«, notiert die Frau, woraufhin Betty das Gleiche möchte.
Beim Bestellen meines Cappuccinos muss ich mich zuerst zwischen einer großen und einer kleinen Tasse, dann zwischen Kuh- und Sojamilch und zuletzt zwischen der milden und der kräftigen Röstung entscheiden.
»Aber mit Koffein?«, will die Kellnerin sicherheitshalber noch von
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