Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
nicht am englischen oder französischen Fundus, sondern orientieren sich an der Heimat des europäischen Öko-Adels: Skandinavien. Anders als der Kevinismus wird dieses Phänomen aber wohl kaum in den Feuilletons überregional erscheinender Zeitungen auftauchen und dort als Thørbenismus oder Gretaismus verspottet werden – schließlich wollen sich die werten Autoren bei der zahlenden Leserschaft nicht unbeliebt machen.
Aus der Wohnung im ersten Stock kommt schreiend ein Mädchen gerannt, das von einem etwas kleineren Jungen verfolgt wird. Beide haben ein Kissen in der Hand, mit dem sie sich eine lautstarke Schlacht liefern, und auch als wir am frühen Abend vom Strand zurückkehren, ist das Geschrei noch immer zu hören. Bei unserer allabendlichen Terrassensession können wir ab sofort also eine pädagogische Fallstudie durchführen: Die zwei Kinder mit den vier Namen brechen im Garten fröhlich Äste aus der Hecke, und während sich ihre Eltern auf zwei Gartenliegen ausruhen und lesen, bricht schon bald ein handfester Schwertkampf zwischen den Kids los.
»Komm, spiel jetzt nicht wieder die Super-Nanny!«, beruhigt mich Sarah, als ich irgendwann Luft hole, um in guter alter Lehrermanier meinen Unmut kundzutun. »Misch dich doch nicht in deren Erziehung ein!«
»Welche Erziehung? Außerdem mischen die sich in meine Urlaubsruhe ein«, protestiere ich, reiße mich dann jedoch zusammen. Mit einem Blick auf die Eltern frage ich mich allerdings, ob sie ihre Kinder tatsächlich für Narren halten – oder warum gewähren sie ihnen sonst Narrenfreiheit?
Als Frikka-Carmen einen schweren Treffer am Hinterkopf einstecken muss, rennt sie heulend zu ihrer Mutter. »Mama, Rouwen haut mich schon die ganze Zeit!« Weil Mama nicht umgehend reagiert, brüllt Frikka sie aus voller Kehle an, während der Junge im Hintergrund noch einen Gang hochschaltet und seinen Stockkampf nun mit der Aloe-vera-Pflanze fortsetzt.
»Dein Bruder Rouwen-Fiete«, sagt die Mutter dann mit einem Finger im Buch, »braucht Bewegung, junge Dame. Das ist wichtig für seine psychomotorische Entwicklung. Verstehst du das?«
»Aber seine Motorwicklung tut mir weh! Manno!«
»Dann sag ihm das, ja? Ihr müsst lernen, Konflikte unter euch zu regeln.«
Mit diesem Ratschlag verschanzt sich die Dame wieder hinter ihrem Schwedenkrimi, Frikka dagegen nimmt den pädagogischen Freibrief mit Wonne entgegen und zieht ihrem Bruder von hinten den Ast über den Schädel. Während der darauf folgenden Rauferei wenden Sarah und ich uns kopfschüttelnd ab und versuchen, das Panorama zu genießen. Nach wenigen Minuten hat Sarah das Gebrüll von nebenan offenbar schon verdrängt und berichtet mir ausführlich von einer SMS ihrer besten Freundin. Ich dagegen ärgere mich mit jedem Schrei der unerzogenen Nachbarskinder mehr über die Rücksichtslosigkeit der Eltern – und über meine Unfähigkeit, den Terror einfach auszublenden.
Sarah unterbricht ihre Story plötzlich und schaut mich von der Seite an. »Hörst du mir noch zu?«
»Warum passiert das eigentlich immer mir?«, denke ich laut und wende mich dann ihr zu. »Kannst du dich noch an unser Camping-Wochenende an der Ostsee erinnern?«
»Ach bitte, Philipp!« Sarah nimmt meine Hand und streichelt sie. »Wir beide wissen, wo das hingeführt hat.«
Oh ja, ich erinnere mich bestens. In der Absicht, mit einem befreundeten Pärchen fern der lärmenden Großstadt ein ruhiges Wochenende an der Ostsee zu verbringen, schlugen wir damals – lange vor Klaras Geburt – am Nachmittag unser Lager auf einem Familienzeltplatz auf. Die Sonne schien, ich hatte ein kaltes Bierchen in der Hand, um uns herum spielten ein paar friedliche Kinder, ansonsten herrschte eine idyllische Stille – genau so hatte ich mir das vorgestellt. Aber natürlich war es zu schön, um wahr zu sein: Schon nach wenigen Minuten wummerte aus einem benachbarten Dauercampergrundstück laute Musik mit dem grausamen Text: Hey, was geht ab? Wir feiern die ganze Nacht, die ganze Nacht! Eine kurze Analyse der Situation bestätigte meine Befürchtung: Auf dem gesamten Campingplatz herrschte himmlische Ruhe, aber ausgerechnet neben mir, dem sensiblen Geh-mir-nicht-auf-den-Keks-Freak, feierten die Dauercamper eine Hochzeit. Dazu hatten sie Hunderte kleiner Likörfläschchen, Zigarettenstangen und einen ganzen Mob saufwütiger Freunde aus Berlin angekarrt und waren im Begriff, das Motto ihres barbarischen Hochzeitslieds Wirklichkeit werden zu lassen. Nachdem der Song
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