Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
auf und beobachte dann eine Frau, die mit einer Papiertüte in der Hand aus dem Bioladen kommt. Aus der riesigen Ledertasche am Gelenk des anderen Arms fischt sie einen Schlüssel und richtet ihn auf das schwarze Fahrzeug neben uns, das sich mit einem Klacken öffnet. Nach einem weiteren Tastendruck schwingt die gigantische Heckklappe des Straßenkreuzers auf, der der Kategorie Full-Size- SUV zuzuordnen ist.
Ende des letzten Jahrtausends importierte der nach seinem Selbstverständnis prestigeträchtigste Autokonzern unserer Republik ein Modell dieser Straßengiganten aus den USA , und seitdem vermehren sich die sogenannten Sports-Utility-Vehicles auf unseren Straßen wie die Karnickel zur Osterzeit.
»Das ist mal ’n Familienauto«, stellt Sarah leise fest und beobachtet die junggebliebene Fahrerin mit der eleganten Sonnenbrille im Haar dabei, wie sie die Papiertüte im Kofferraum neben dem zusammengeklappten Kinderwagen platziert.
»Das ist kein Familienauto«, korrigiere ich sie, »sondern ein sogenannter Hausfrauenpanzer.«
Auf Zehenspitzen betätigt die Dame einen Knopf am Kofferraumdeckel, der sich daraufhin geräuschlos schließt und mir einen Blick auf die Motorenbezeichnung erlaubt, neben der ein Anti-Atomkraft-Sticker klebt.
»Fünf Liter Hubraum und Vierradantrieb«, flüstere ich, als die Fahrerin die Kommandobrücke besteigt, »damit könnte man einen Lkw abschleppen.«
»Oder drei Biotomaten zum Yoga transportieren«, meint Sarah und tippt sich an die Stirn.
Vorbei an Feinkostläden, französischen Boutiquen und Antiquitätengeschäften spazieren wir gemütlich zum Schwimmbad, in dessen Eingangsbereich Sarah ein paar Mütter grüßt und mit ihnen in der Damenumkleide verschwindet. In der Herrenumkleidekabine bin ich zuerst allein, dann öffnet sich jedoch langsam die Tür, und ein schlaksiger Mann mit drei Taschen und einem Babykorb schiebt sich rückwärts durch den Rahmen. Ich eile ihm zu Hilfe und halte ihm die Tür auf, woraufhin er seine Siebensachen abstellt und mir mit vorgebeugtem Oberkörper aus zwei Metern Entfernung seine Hand entgegenstreckt.
»Du, danke, du«, beginnt er und legt grinsend seine obere Zahnreihe frei. »Echt supiklasse, hey. Ich bin der Dieter. Biste auch in Elternzeit, ja?«
»So ähnlich«, weiche ich seiner Frage aus und hoffe darauf, dass er meine Hand bald wieder loslässt. Dabei inspiziere ich seine Kleidung, mit der er ohne Weiteres zu einer spontanen Wanderung aufbrechen könnte. Von der Fleeceweste über das kurzärmlige kleinkarierte Hemd, die auf Kniehöhe abtrennbaren Hosen bis zu den wasserfesten Goretexschuhen überlässt Dieter wohl nichts dem Zufall. Fein säuberlich legt er seine Funktionskleidung zusammen und zieht dabei immer mal wieder eine Grimasse, über die sich sein Töchterchen köstlich amüsiert. Als ich aus der Dusche komme, sitzt er in einem weißen Männerslip auf der Bank und wühlt in einer der Taschen.
»Ich geh dann schon mal rein.«
»Ja, klärchen, bis bälde!«, trällert er und schaut mich dann an, als hätte er gerade seinen Lieblingswitz erzählt und warte nun auf meine Reaktion. Pflichtbewusst lächle ich ihm zu und verlasse die Umkleide.
In der Schwimmhalle habe ich das Gefühl, gegen eine Wand aus schwüler Hitze zu laufen. Rund um das Becken stehen so viele Mütter mit ihren Babys auf dem Arm, dass ich Sarah erst erkenne, als sie mir zuwinkt. Vor der beschlagenen Fensterscheibe zum Hof liegen zahlreiche Wickelunterlagen, auf denen die Mamas und Muttis ihre Kinder in Schwimmwindeln verpacken, doch außer meiner Wenigkeit kann ich in dem stark beheizten Raum vorerst keine weiteren Männer entdecken.
Dabei fällt mir wieder mein Kumpel ein, der als Arzt in einem Krankenhaus arbeitet. Als ich ihm kurz vor Klaras Geburt berichtete, während ihrer ersten zwei Lebensmonate in Elternzeit zu gehen, schüttelte er lachend den Kopf und meinte, sein Chef würde ihn dafür eiskalt abservieren.
»Aber die Elternzeit steht dir doch gesetzlich zu«, gab ich zu bedenken.
»Na und?«, erwiderte der Arztfreund. »Wochenende und Ruhezeiten nach 48-Stunden-Schichten stehen mir gesetzlich auch zu – aber dit interessiert die Halbgötter in Weiß ’n feuchten Kehricht!«
Eine der Mütter schaut plötzlich mit großen Augen zu der Tür, aus der auch ich eben gekommen bin, und stößt die Frau neben sich mit dem Ellenbogen an. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf und erblicke Dieter, der nun in Neoprenschuhen und einem weißen Badeslip am
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