Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
jenseitig der Autobahn wieder an mir vorbeirauscht, ziehe ich meine ganz persönliche Bilanz des Abends.
Dass ich hier eine echte Freakshow geboten bekomme, war eigentlich klar: das Haus, die Kostüme, die Hunde, die Rituale – der Freakfaktor liegt bei mindestens acht von zehn Wappen. Auch hätte ich mir vorher denken können, hier auf den Typ Problemfreak zu treffen, aber zumindest habe ich versucht, meine Vorurteile an der schweren Eichentür abzugeben und meine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Dass sich die Jungs hier mit scharfer Klinge und müder Zunge duellieren, sich um den Verstand saufen oder gelegentlich aufs Maul hauen, ist vielleicht zweifelhaft, aber bitte: Solange sie dabei unter sich bleiben …
Das sah Kurt Tucholsky jedoch anders: »Wenn sie sich heut selber verhauen: Euch fallen sie morgen an!« Die mindestens rechtslastige Einstellung, die elitäre Vetternwirtschaft und der altertümliche Sexismus liegen mir noch schwerer im Magen als die drei großen Kaffee und die furchtbaren Käsebrötchen, die ich in Ermangelung pflanzlicher Alternativen vor der Autofahrt heruntergestürzt habe. Immerhin: Viele Burschen haben sich bei den fremdenfeindlichen Positionen des Schlägerburschen gestern Abend abgewendet, sodass ich sie durchaus nicht alle als braune Patrioten in Erinnerung behalte. Aber widersprochen haben sie ihm auch nicht. Stattdessen halten sie ihre Wappenfähnchen in den rechten Wind des Corps, vermutlich in der Hoffnung darauf, irgendwann einmal in die Fußstapfen der Alten Herren zu treten, die sich in den Chefetagen der im DAX gelisteten Unternehmen – mehr oder weniger – verdient gemacht haben. Der Klüngel hat also System: traurig, aber leider doch irgendwie verständlich.
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FIT INS NEUE JAHR
W eder Sarah noch meine Familie oder Freunde konnten es so recht glauben, und auch ich unterschrieb den Arbeitsvertrag bei Imameifo mit einem schiefen Lächeln, aber tatsächlich ist es endlich so weit: Seit Mitte Januar befinde ich mich wieder in einem festen Arbeitsverhältnis. Leider ist es nur eine halbe Stelle, und natürlich gibt es eine Probezeit; auch ist das Gehalt nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber immerhin bekomme ich nun so viel Lohn, dass ich mich wie ein echter Arbeitnehmer fühle – und nicht wie ein Studienabbrecher auf Praktikumssuche. Bei entspannten zwanzig Stunden Arbeitszeit pro Woche konnte ich mich in den vergangenen Wochen auch wieder verstärkt der Suche nach einem Vollzeit-Job als Erwachsenenbildner widmen, denn auch im letzten Teil des Winters werde ich den Satz des Weltretters im Zelt nicht los: Nur wer sein Ziel kennt, kann es finden.
Vielleicht hat er die Zeilen bloß auf einer Postkarte gelesen, aber selbst wenn sein ganzer Hokuspokus nur Augenwischerei ist, muss ich mich doch fragen, ob ich wirklich in der Human-Resource-Abteilung eines Unternehmens oder eines Konzerns arbeiten möchte. Will ich ernsthaft für die Ausbildung des »Humankapitals« verantwortlich sein, damit es möglichst effizient Gewinne erwirtschaften kann? Wie für solche Fragen üblich, kenne ich die Antwort eigentlich ganz genau, aber leider bringt sie mich in eine unschöne Zwickmühle. Denn was ist die Alternative? Auf ewig im Callcenter sitzen und stasimäßig Telefonate mithören? Telefonate, deren Ergebnisse in den meisten Fällen dazu verwendet werden, Produkte und Dienstleistungen nicht zu verbessern, sondern nur besser zu bewerben? Immerhin hat mein neuer Boss, Karin Wecker, nicht nur mein Horoskop, sondern auch meinen Lebenslauf gelesen und dabei den pädagogischen Schwerpunkt dieser Patchworkbiografie entdeckt. Schon in der zweiten Woche meiner neuen Tätigkeit als Supervisor darf ich daher bei einem der Einstellungstests hospitieren, und weil der Job unter den anderen Supervisoren offenbar nicht sonderlich beliebt ist, werde ich ab jetzt regelmäßig zur Personalschulung und -auswahl eingesetzt. So war mein Studium wenigstens für irgendetwas gut, aber selbst wenn ich bei Imameifo eine volle Stelle besetzen könnte, würde ich wohl kaum mehr als ein Aushilfspauker verdienen.
Dann vielleicht doch wieder als Lehrer anheuern? Immerhin vermisse ich die Arbeit mit den Kids unheimlich, denn auch wenn es in den Klassen kontinuierlich drunter und drüber ging, erinnere ich mich mit Wonne an das Gefühl, pädagogische und damit eben auch etwas gesellschaftliche Verantwortung übernommen zu haben. Vor allem mit dem Wissen um den miserablen Zustand dieser Institution und um die
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