Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Teilnehmer hinter einer Glasscheibe Bewegungen vollziehen, die mir schon beim Zuschauen den Atem rauben. Andere wiederum bezeichnen sich selbst als Spinner: die Teilnehmer des sogenannten Spinnings. Auf Rennradsimulatoren strampeln sie sich so lange und intensiv ab, dass ein Angestellter nach den Kursen mit dem Wischmopp durch den Raum gehen muss.
Am meisten musste ich mich jedoch über diejenigen wundern, die sich zum Muskelaufbau nicht mehr an Geräten abmühen, sondern den eigenen Körper per elektromagnetischer Stimulation trainieren – gelenkschonend und zeitsparend. Dazu lassen sie sich mit Elektrodenbändern einkleiden, die an eine Art Autobatterie angeschlossen werden. Über ein Schaltpult entscheidet der Trainer dann, wann welche Muskelpartien wie stark mit elektrischen Schlägen versorgt und dadurch kontrahiert werden. Der Sportler hingegen sitzt auf einem Stuhl oder steht mit zur Seite gestreckten Armen breitbeinig auf einer Matte und kriegt zwei runde Holzstücke in die Hände, damit sie sich während der Elektroschocks nicht verkrampfen.
Kann jemand so ein Elektrotraining auch bitte endlich mal fürs Gehirn erfinden? Immer in der Schule herumhocken und Gedichte auswendig lernen, Vokabeln büffeln oder den Dreisatz raffen, oder noch schlimmer, in der Universitätsbibliothek sitzen und lesen – das ist doch der letzte Mist! Das Fitnessstudio des 22. Jahrhunderts stelle ich mir super vor: Über den USB -Anschluss am Hinterkopf Chinesisch, Algebra für Physiker und Kunstgeschichte installieren, das Höflichkeitsmodul updaten und den Romantikprozessor neu konfigurieren, dabei in einer Ganzkörperelektrode liegen, die alle Muskeln gleichzeitig trainiert, und dann mit dem Jeep nach Hause fahren und RTL konsumieren.
Im Hirn.
Mit Werbung. Ganz viel Werbung.
Nun gut, auch wenn es der ein oder andere im Fitnessstudio etwas übertreibt, letztlich ist ja gegen Sport überhaupt nichts einzuwenden – auch wenn ich mich dabei lieber im Freien aufhalte, weil ich mir auf Laufbändern oder Crosstrainern immer ein bisschen vorkomme wie ein Hamster im Rad. Vor allem, weil die Dinger meist hinter großen Glasscheiben stehen, sodass mir bei der Schinderei jeder zuschauen kann.
Als die Temperaturen im März endlich wieder über den Nullpunkt klettern, die Tage wieder länger werden und sich sogar ein paar vorsichtige Sonnenstrahlen hinter den Wolken hervortrauen, absolviere ich mein Lauftraining endlich wieder in den Park. Weil der Minimarathon nun immer näher rückt, lege ich ab April sogar Wochenendläufe ein, wovon Sarah nicht immer begeistert ist und mich fragt, ob ich es nicht vielleicht etwas übertreibe.
Ich? Übertreiben? Davon kann ja wohl keine Rede sein! Ich will doch bloß die zehn Kilometer in fünfzig Minuten laufen, und dazu muss ich halt dreimal pro Woche trainieren. Und täglich Liegestütze machen. Und Sit-ups. Und genug Tofu essen, damit ich ausreichend mit Eiweiß versorgt bin. Und Kräuterblut trinken, um einem möglichen Eisenmangel vorzubeugen. Und Magnesium nehmen, um keine Krämpfe zu kriegen. Das war’s doch schon – da soll noch mal jemand sagen, ich würde übertreiben! Außerdem will ich auf das Gefühl bei und nach dem Ausdauersport einfach nicht mehr verzichten: Das Herz pumpt, der Schweiß läuft, und gelegentlich überfällt ein wohliges Kribbeln meinen Nacken und die Schulterpartie. Meine Gedanken kreisen frei umher, verlassen die alltäglichen Bahnen, meine Fantasie wird angeregt, und meine Laune hebt sich. Nach dem Laufen bin ich dann zwar auf einen Schlag vollkommen kaputt, fühle mich aber schon wenige Minuten nach dem Duschen, als könnte ich Bäume ausreißen und sie danach mit meiner positiven Ausstrahlung dazu überreden, sich selbst wieder einzupflanzen.
Als ich an diesem Samstagmorgen im April wach werde, scheint draußen schon die Sonne, sodass ich auf den Balkon trete und mein Gesicht in die wärmenden Strahlen halte. Ja, heute soll der Tag sein, an dem ich meine Strecke in Bestzeit laufe – die Generalprobe! Also ab in die Sportklamotten und zum westlichen Zipfel des Berliner Tiergartens radeln, denn von hier beginnt eine wunderschöne Joggingroute, auf der man fast alle Sehenswürdigkeiten meiner Heimatstadt zu Gesicht bekommt.
Angekommen in Deutschlands einzigem Freilichtgaslaternenmuseum, starte ich meine Aufwärmübungen, und weil Menschen zu anderen Menschen mit denselben Hobbys immer ein bisschen netter sind als zu denen, die ihre Passion nicht teilen, habe
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