Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Burschenlärms, fordert einer von ihnen den Rest der Mannschaft vergeblich zur Ruhe auf. Als er sich endlich durchgesetzt hat, können wir es hören: Jemand klingelt an der Tür.
»Ach du Scheiße«, entfährt es mir, »die Nachbarn hamm die Bullen gerufen!«
Lauthals lacht mich die Truppe für diese naive Bemerkung aus, steigen dann von den Stühlen und rennen brüllend durch den Flur in die Haupthalle.
»Couleurbesuch«, erklärt mir der Frechdachs auf meinen Blick hin und fordert mich auf, schnell mitzukommen. »Eine benachbarte Verbindung hat sich zu einem spontanen Besuch entschlossen«, erklärt er mir, als wir gemeinsam die Eingangshalle erreichen. »Das wird heftig!«
Ein kleines Team hat das nächste Spiel schon vorbereitet. Auf einem Tisch werden nun auf jeder Seite zehn randvolle Biergläser aufgereiht, dann öffnet der Dicke die Pforte und begrüßt einen anderen Dicken. Der ist offensichtlich auch Chef und ist mit seinem Burschenteam überraschend vorbeigekommen. Das Spiel, das jetzt beginnt, ist schnell erklärt: Zehn Mitglieder des heimatlichen Corps stehen zehn Mitgliedern des Besuches gegenüber. Nach dem Startschuss fangen die ersten beiden Kontrahenten an, ihr Bier so schnell wie möglich auszutrinken – in diesem Fall also in einem Zug –, und erst wenn der Vorgänger in der Mannschaft sein Bier ausgetrunken hat, darf der Nächste anfangen. Also quasi ein Staffelsauf! Die Mannschaft, die zuerst fertig ist, hat gewonnen. Ein großer Spaß für alle, die bereits vor dem dreißigsten Geburtstag als alkoholkrank gelten möchten. Der Gewinn erschließt sich mir jedoch nicht, was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich kurzfristig einen der Füchse ersetzen muss, der bereits auf der grünen Couch ins Koma gefallen ist.
Die folgenden Stunden fliegen im Vollrausch an mir vorbei. Unentwegt versucht einer der weniger blauen Burschen meine vorübergehende und alkoholbedingte Argumentationsschwäche dazu auszunutzen, mich von der Existenz Gottes zu überzeugen. Dankenswerterweise hält der Dicke die Nervensägen immer wieder davon ab, mir allzu aufdringlich auf die Pelle zu rücken, indem er sie ebenfalls mit Snacks bewirft oder im Militärton zum Bierholen schickt.
Herrmann und Heinrich sind an die Bierfeste der Burschen offenbar bereits gewöhnt und haben ihre Hundeleiber zwei Füchsen als Kissen zur Verfügung gestellt. Andere vom Bier ermüdete Kerle haben es sich mit Stuhltrümmern an den Heizkörpern bequem gemacht und dösen friedlich. Als endlich die Sonne aufgeht, verwandelt sich die eben noch etwas romantisch anmutende Szene in die gnadenlose Darstellung eines ausklingenden Alkoholexzesses. Nur der Dicke und ich sind noch wach.
»Weißte was«, erkläre ich großzügig, »ich finde, es wird Zeit, dass wir uns duzen. Ich bin der Philipp, hallo!« Erschöpft strecke ich ihm meine Hand entgegen.
»Verzeihung«, erwidert er, »keine Verbrüderung mit Zivilisten. Aber ich hab was anderes.« Dann verschwindet er kurz hinter der Bar und kommt feierlich mit zwei Zigarren zurück. »Die rauchen wir jetzt …«
»… zur Feier des Tagesanbruchs«, vollende ich den Satz und finde mich eine Minute später auf dem Balkon der Villa wieder. Ein volltrunkener Atheist im billigen Anzug, der an einem Mittwoch um acht Uhr morgens mit zerzausten Haaren auf dem Balkon einer schlagenden Verbindung steht und mit deren Chef Havannas raucht.
Das kann man eigentlich niemandem erzählen.
Der Weg ins Bett ist glücklicherweise kurz, und als ich nach einem komatösen Schlaf um halb eins wieder die Bar betrete, sind die Burschen längst wach. Weil sie in der vorlesungsfreien Zeit nicht zur Uni müssen, sitzen einige von ihnen schon wieder beim ersten Humpen und feiern den Auftritt des ehrenwerten »Zivilisten Herrn Piraten-Möller«, als wäre der gestrige Abend nie zu Ende gegangen.
Nach einem deftigen Katerfrühstück lasse ich Herrmann und Heinrich, den Dicken und den Frechdachs sowie die restliche Truppe mit ihren Ansichten in dem gigantischen Anwesen zurück. Beim Einschalten des Navis freue ich mich über die erste Frauenstimme, die ich nach ungefähr zwanzig Stunden wieder hören darf. Obwohl sie nur einem herzlosen Chip entstammt, klingt die weiche, sexuell etwas aufgeladene Stimme wie Musik in meinen Ohren. Was nun bleibt, ist neben dem Kater die Freude über meinen aufschlussreichen Ausflug, vor allem aber der fade Nachgeschmack des Nationalismus und der Havanna. Während die reizlose Landschaft
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