Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
schlechten Chancen, mit denen viele Kids die Schulbank verlassen werden, frage ich mich immer wieder: Was könnte ich dazu beitragen, an der Situation unserer Verblödungsnation etwas zu verbessern – und gleichzeitig damit meinen Lebensunterhalt verdienen?
Dazu kommt: Je länger ich auf der Suche nach einem Platz in dieser Gesellschaft bin, desto weniger werde ich die Freak-Brille los, die mir Geierchen im letzten Jahr aufgesetzt hat. Wo auch immer ich hinkomme, treffe ich auf Paradiesvögel, auf Übertreiber und Egozentriker, die es schaffen, sich und ihre Hobbys so sehr in den Mittelpunkt zu rücken, dass ich mich fragen muss, ob der Zusammenhang vielleicht wirklich so direkt ist, wie mein lieber Ex-Kollege ihn geschildert hat: Schule ist ein Abbild unserer Gesellschaft, und während mir die Kids schon crazy vorkamen, sind die Freaks in Originalgröße umso durchgeknallter. Haben wir vor lauter Sorgen um veganes Essen, dicke Autos, Connections in die Chefetage oder den richtigen Weihnachtsschmuck die Qualität der Bildung vielleicht ein bisschen aus den Augen verloren? Oder bin ich als Ex-Lehrer im Hartz- IV -Kiez etwas überempfindlich für solche Zusammenhänge geworden? Dennoch meine ich, dass Geierchen mal wieder recht hatte: Jede Gesellschaft bekommt das Schulsystem, das sie verdient. Doch wie lässt sich an diesem Kreislauf etwas ändern? Wie könnte ich dieser Freak-Republik bloß mitteilen, was in ihren Schulen los ist? Und wie lässt sich ein Bewusstsein für die Konsequenzen schaffen, die das Verhalten einiger Freaks für ihre Umwelt mit sich bringt? Mit welchem Medium und in welcher Sprache wecke ich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft am ehesten?
Ich weiß es nicht, und weil ich es auch in nächster Zukunft nicht schaffen werde, solche Fragen zu beantworten, konzentriere ich mich seit Anfang des Jahres erst einmal auf die kurzfristigen Ziele – wie den Minimarathon, zu dem ich bald gemeinsam mit meinen ehemaligen Kollegen antreten werde. Dank meiner Ernährungsumstellung habe ich die Neunzig-Kilo-Marke inzwischen deutlich unterschritten, und bis auf ein gelegentliches Käse- oder Nutellabrot oder ein paar Krümel Parmesan auf der Pasta fällt es mir erstaunlich leicht, mich fast komplett pflanzlich zu ernähren. Um der Personalratstante und mir selbst zu beweisen, dass ich den Lauf bestehen kann, gehört allerdings deutlich mehr dazu, als bloß ein paar Kilo abzunehmen – Lauftraining will also absolviert werden. Nun bin ich leider nicht der Typ Jogger, der bei Minusgraden in voller Montur über vereiste Parkwege hechelt, und bin deshalb seit ein paar Wochen regelmäßiger Gast in einem Fitnessstudio. Auf dem Laufband konnte ich schon bald meinen Trainingszustand vom letzten Jahr wiederherstellen, aber vor allem kam ich in der Muckibude erstmalig mit echten Fitnessfreaks in Kontakt.
Am auffälligsten sind wohl die Bodybuilder: Mit animalischen Gesichtsausdrücken reißen sie Hanteln mit dem Gewicht eines Motorrads in die Höhe, während ihnen der Schweiß über die knallrote Stirn läuft. Schnaufend sitzen sie auf Folterbänken, ziehen Stahlplatten an Seilen hoch und sehen dabei manchmal aus, als würden ihnen gleich die Augen aus dem Schädel quellen. Auf der Oberfläche ihrer Muskelberge treten dicke Adern hervor, wenn sie trainieren. Einige haben Oberarme, die dicker als meine Oberschenkel sind, andere haben so dicke Oberschenkel, dass sie kaum noch laufen können. In der Umkleidekabine lassen sie die Muskeln vor den Spiegeln zucken, ölen ihre Lieblinge mit Kokosöl ein und unterhalten sich über Bodybuilderfraß: Eiweißshakes, Vitaminshakes, anabolische Aminosäuren, Proteinkomplexe, Kreatine, Testosteron-Booster oder probiotisches Guarana-Dynamit. Ob sämtliche Substanzen, die von den Muskelfreaks konsumiert werden, legal sind, wage ich nicht einzuschätzen, wichtig scheint aber vor allem eines: Sie sind Giganten, und Giganten futtern keine grünen Wiesen! Giganten brauchen Fleisch, und zwar in rauen Mengen!
»Während meiner Trainingsphasen«, sagte einer der Typen letztens, »verputze ich jeden Tag ein ganzes Huhn.«
»Ich vier hart gekochte Eier«, meinte sein Kumpel daraufhin.
»Ich rohe!«, gab der dritte im Bunde an.
Etwas unauffälliger, aber keinesfalls weniger engagiert, kommen die Teilnehmer der Kurse mit den lustigen Namen Bodypump, Zumba, TRX Bootcamp, Bauch-Beine-Po Xtreme und Poweryoga daher. Begleitet werden deren Übungen von lauter dynamischer Musik, zu der die
Weitere Kostenlose Bücher