Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
weißt du ja, wo die Tür ist!«
»Ach ja?« Ich schaue ihm ins Gesicht, muss dann aber lachen. »Ehrlich gesagt bichmir dessen gar nich mehr so sicher …«
Der Dicke freut sich, dass ich das Reizthema mit einem blöden Spruch beendet habe, und setzt diese Taktik mit einem schlechten Witz nach dem anderen fort. »Warum kriegen Männer keine Cellulitis?«, fragt er gerade in die Runde, als mir schon wieder das Bier ausgeht und ich leicht schielend nach einem weiteren Humpen verlange.
»Weils Scheiße aussieht!«, brüllt plötzlich einer von links in mein Ohr, woraufhin der Dicke sich vor Lachen auf den Boden wirft und dabei ein halb volles Bierglas über einen der Jüngeren schüttet. Auch ich lache mit und behalte sogar die Frage für mich, warum Frauen keine Glatze kriegen.
Oh Mann, Möller. Der vernunftbegabte Teil meines Hirns hat sich offenbar weitgehend verabschiedet, was ich vor allem an der SMS bemerke, die ich seit ungefähr einer halben Stunde an meine frisch Verlobte schreibe: ›Boa. Brusxhenschaftaften sind sxhon voll karasss crazy, ey! Bin voll balu. Medle mihc morhen.‹
Um das Display meines Telefons überhaupt noch zu erkennen, muss ich dauerhaft ein Auge zukneifen, was mir unter den Anwesenden den Spitznamen »Pirat« einbringt. Als ich die schwerste Aufgabe des Abends endlich absolviert habe, pfeffere ich mein Telefon in eine Ecke und stelle mich auf den nächstbesten Stuhl. »Gruß zum Gotte, Genossinnen und Genossen!«, brülle ich fröhlich durch die Kneipe und ernte dafür ungehemmten Burschenbeifall. »Folgender genialer Plan des ehrenwerten Herrn Möller«, fahre ich berauscht fort, wobei mich einige Anwesende, der Dicke allen voran, immer wieder lachend mit Salzstangen bewerfen. »Wenn ich dreckiger Zivilist schon mal in einer Burschenschaft bin, will ich auch mal so was richtig Burschiges erleben! Also?«
Mit einem schiefen Blick auf den Dicken, von dem ich inzwischen zwei sehe, beende ich meinen Antrag und hüpfe elegant wie ein Elefant vom Stuhl. Schmatzend überlegt der Boss des Vereins einen Moment, dann hat er offenbar einen Geistesblitz und spurtet überraschend rasant aus der Kneipe. Einen kurzen Moment später kommt er mit einem schwertartigen Gegenstand in der Hand zurück und stellt sich wie eine übergewichtige Version von Siegfried dem Drachentöter, die Waffe mit beiden Armen zur Decke gestreckt, in die Mitte des Raumes. »Brüder!«, erhebt er feierlich das Wort, woraufhin die Burschen schon in Jubel ausbrechen. »Zu Ehren des ehrenhaften Piratengastes, Herrn Philipp Möller, befehle ich euch, eine Hochkneipe zu bauen!«
Die letzten Silben gehen in so lautem Gegröle unter, dass ich mich beim Frechdachs nach dem weiteren Verlauf des Abends erkundigen muss.
»Bei einer Hochkneipe«, schreit er mir ins Ohr, »geht es darum, so lange wie möglich nicht vom Tisch zu fallen!« Mit bedeutungsvoller Miene weist er auf die Burschen, die sich trotz des beachtlichen Alkoholpegels erstaunlich routiniert daranmachen, diese ominöse Hochkneipe zu errichten.
Das Bühnenbild des zweiten Akts dieses Schauspiels ist denkbar einfach: Zwei Tische werden an den kurzen Enden zu einer Tafel aneinandergerückt, das gleiche Gebilde wird noch einmal danebengestellt. Nun hieven zwei Burschen zwei weitere Tische auf die entstandene Fläche und stellen Stühle daran. Dann klettern sie mit Gesangsbüchern und Biernachschub auf das pyramidenförmige Gebilde und reichen mir die Hände zum Hochklettern.
Während ich mit absoluter Sicherheit gerade auf eine Alkoholvergiftung zusteuere, kommen die Jungs mithilfe ihres Burschensaftes und der Hochkneipe erst richtig auf Touren. Oben angekommen, singen sie gemeinsam die Lieder ihrer Vorfahren, die »mit Gott auf das Felde ziehen«, übertönen sich mit ritualisierten Sprüchen und saufen so viel, dass immer mal wieder einer von ihnen mit seinem Stuhl zu weit nach hinten rückt und infolgedessen mitsamt dem Möbelstück gute anderthalb Meter nach unten stürzt. Beim ersten Mal bin ich noch schwer erschrocken, doch als der dritte Bursche nach seinem Abflug die Einzelteile des zerbrochenen Stuhls in die Ecke pfeffert, sich einen neuen schnappt und wieder an der Hochkneipe teilnimmt, höre ich auf, panisch nach der Feuerwehr zu rufen. Dennoch flößt mir das Treiben endlich so etwas wie Respekt ein, sodass ich ganz nah an den Tisch rücke und meinen Bierkonsum etwas drossele. Doch dieser Plan soll nicht lange Bestand haben, denn nun, inmitten des
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