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Titel: Binärcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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Phasen zwischen den 70er-Jahre-Revivals Courage. Rünz beschloss, ihn mit Bunter bekannt zu machen, die beiden konnten ja auf der Frankfurter Zeil eine Boutique für hippe Best-Ager aufmachen.
    »Ich dachte, Astronomen wären nachtaktive Wesen«, sagte Rünz.
    »Nicht, wenn sie die Sonne beobachten wollen .« Stadelbauer tätschelte das Teleskop liebevoll. »Unser Nemec-Refraktor, gefalteter Strahlengang, ideal für die Beobachtung unseres Zentralsterns.«
    Für einen Menschen, den man eine halbe Stunde zuvor am Telefon vom Tod eines Freundes unterrichtet hatte, wirkte er erstaunlich aufgeräumt, er gab sich nicht einmal Mühe, Betroffenheit und Trauer zu simulieren. Stadelbauer fragte nach Rossis Todesumständen, nicht übermäßig interessiert, aber auch nicht auffällig unbeteiligt, gerade so, als erkundigte er sich bei seiner Werkstatt nach dem Stand seiner Autoinspektion. Er konnte Rünz nicht allzu viele Informationen entlocken, also fing er ungefragt an zu erzählen.
    »Rossi hatte diese durchgeknallte Idee mit den Außerirdischen – na ja, so verrückt war sie eigentlich gar nicht. Er war überzeugt davon, dass sie schon lange hier sind, nicht hier bei uns auf der Erde, aber in unserem Sonnensystem. Er dachte nicht an kleine grüne Männchen in fliegenden Untertassen, sondern an autonom operierende Systeme, die vielleicht schon seit Zehn- oder Hunderttausenden von Jahren in einem Sonnenorbit kreisen und die Entwicklung des Lebens bei uns beobachten .«
    »War das nicht eine ziemlich naive Idee für so einen Raumfahrtprofi? So einen Satelliten hätten die Amerikaner oder die Russen oder sonst wer doch längst entdeckt .«
    Stadelbauer lachte.
    »Sie haben falsche Vorstellungen über die Dimensionen unseres Sonnensystems. Wissen Sie was? Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir steigen zusammen drüben auf den Ludwigsturm, da oben kann ich Ihnen das besser erklären .«
    Stadelbauer schloss die Klappe der Kuppel, dann kletterten beide die Stiege hinunter ins Obergeschoss.
    »Warten Sie, ich muss die Plattform noch schließen .«
    Er suchte in seinen Hosentaschen.
    »Verdammt, ich glaube, ich habe die Schlüssel auf dem Arbeitstisch liegen lassen .«
    Der Hobbyastronom streckte im Flur seine rechte Hand hoch zu einem Kabelträger und tastete mit seinen Fingerspitzen einen Moment unter den Stromkabeln herum, dann fischte er einen kleinen Schlüsselbund herunter. Er schloss eine Stahltür auf, und Rünz hatte freien Blick auf eine Terrasse mit einem knappen Dutzend Teleskopen verschiedenster Bauarten und Größen unter freiem Himmel, alte Geräte in robusten Holzkästen auf schweren mechanischen Montierungen, andere in futuristischen, kurzen Leichtmetallzylindern mit elektronischen Steuerungseinheiten.
    »Das ist unsere eigentliche Beobachtungsplattform. Die Kuppel oben benutzen wir eher selten .«
    Stadelbauer drückte einen Knopf an einem Schaltkasten an der Wand, und Rünz zuckte zusammen. Über seinem Kopf setzte sich eine Stahlkonstruktion wie ein Autoschiebedach in Bewegung, schob sich aus dem Gebäudeinnern auf Führungsschienen über den Freisitz, bis die beiden in einem geschlossenen Raum standen.
    »Serienausstattung !« , witzelte Stadelbauer.
    Im Ludwigsturm, einen Steinwurf von der Sternwarte entfernt, verfluchte Rünz schon auf halber Höhe den Großherzog dafür, dass er dem Darmstädter Verschönerungsverein vor über 120 Jahren den Bau dieser Röhre gestattet hatte. Die Sandsteinstufen der Wendeltreppe verjüngten sich zur Mitte hin auf Papierstärke, das filigrane Geländer war die Karikatur einer Sicherheitseinrichtung – gebogene, stricknadeldicke Stahlstäbe, mit kümmerlichen Schweißpunkten aneinandergeheftet. Der Astronom stürmte vor, drei Stufen auf einmal nehmend. Gab es denn keinen vernünftigen Menschen mehr, der keinen Sport trieb? Rünz steckten die Strapazen des zermürbenden Anstiegs auf die Ludwigshöhe in den Knochen. Er hatte noch beängstigende 50 Stufen vor sich und war schon völlig erschöpft. Wenn er sich in der sauerstoffarmen Höhenluft ein Lungenödem zuzog? Vielleicht konnte ihn die Odenwälder Bergwacht im Notfall mit dem Hubschrauber von der Spitze des Turmes aus retten.
    Auf dem Ausguck angekommen stockte ihm der Atem. Die umlaufende Mauer war gerade mal anderthalb Meter hoch, ein leichter Windstoß würde ausreichen, um ihn über die Brüstung in die Tiefe zu reißen. Er blieb im Zentrum der Plattform, eine Hand am Geländer des Treppenaufganges, mit der anderen den

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