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in’n Bunker. Peng peng macht det, dann jault wieder der Dicke, dann isset ruhig. Icke späh nochma raus, kommt ’n Dritter durch’n Bretterzaun auf meen Grundstück, genauso einer wie Sie«, sagte der Alte und grinste Rünz an. »Dann wieder ’n paar Minuten Ruhe, auf eima springt hier eina rein wie Polka un ab die Treppe hoch. Oben im Turm wieder peng peng. Dann schreit irjendne Zicke draußen rum, peng, hört auf mit Schreien. Dann fängt von draußen einer an, auf den Bunker zu schießen. Der Typ im Obergeschoss wieder ab runter, drei Stufen auf einmal, unn auf halba Höhe zerlegts ihn, aber mit Schmackes. Dat Schießeisen sejelt ab durch die Mitte unn knall, mir direkt vor die Füße. Der Typ humpelt runter zu mia, sucht sein Jewehr mit die Finger auf’m Boden, alles duster da unten, keene Sehschlitze wie oben. Der hockt mir fast schon auf die Füße, da merkta, datter mit de Finger in meine alten Schisskuppen rummacht. Brüllt ›Dermo‹, ›Dermo‹ oder sowat. Draußen jeht ne Autohupe, er ab raus. Puh is det trocken hier .«
Der Penner fischte eine kleine PET-Flasche aus seiner Jacke, die er mit irgendeinem billigen Wermut gefüllt hatte, und nahm einen kräftigen Zug. Dann bot er Brecker und Rünz einen Schluck an, die dankend ablehnten.
»Der macht sich dünne, steicht draußen innet Auto un jibt Gummi. Icke warte erstma ’n paar Minütchen, dann raus, liejen drei Jestalten auf’m Jelände, kontrollierter Rückzuch sach ich mir unn mach mich vom Acker. Mit dat Ding hier, war zu schad zum liejenlassen .«
»Hast du den Mann gesehen? Würdest du ihn wiedererkennen ?« , fragte Brecker.
Der Penner schüttelte in gespielter Resignation den Kopf.
»Janz janz schlechte Augen hab ick .«
Rünz ließ sich von Brecker noch ein paar Taschentücher geben und befreite die Waffe vom gröbsten Unrat, dann zog er aufopferungsvoll seine Jacke aus und wickelte das Gewehr behutsam ein, als hätte er ein erfrierendes Kind gefunden. Er nahm das Päckchen unter den Arm und machte sich mit Brecker auf den Weg, ohne sich von dem Alten zu verabschieden.
»Jibbet da ’n büschen Patte für ?« , rief der Alte. Brecker drehte sich um.
»Klar«, rief er. »Stell einen Antrag beim Sozialamt !«
»Na denne«, kicherte der Penner zum Abschied. »Grüßt mir die lustichen Hamburjer .«
Rünz blieb stehen und starrte den Alten an.
»Was für Hamburger?«
* * *
Er mochte es sich nicht eingestehen, aber die Diagnose rumorte in seinem Innern, es kostete Energie, gegen die Angstattacken anzukämpfen. Seine Widerstandskraft gegen beziehungstechnische Zumutungen seiner Frau war erschlafft. Sie war geradezu verblüfft gewesen, wie leicht sie ihn zu dieser Paartherapie hatte überreden können. Im Paulusviertel unweit des Präsidiums hatten sie eine Praxis gefunden, er hatte auf dienstfreundlichen 18-Uhr-Terminen bestanden, so versuchte er die wöchentlichen Sitzungen wie eine lästige Überstunde am Ende eines Arbeitstages abzusitzen.
Klee oder Kandinsky – etwas anderes kam als Wanddekor für psychologische Praxen nicht infrage. Wahrscheinlich hatte der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. einschlägige Richtlinien diesbezüglich erlassen und drohte renitenten Jungtherapeuten, die sich ihre Behandlungszimmer mit Pop Art oder Jungen Wilden dekorierten, mit Ausschluss.
Die Therapeutin fasste die Arbeit der letzten Stunden in einigen einführenden Worten zusammen. Rünz hatte Gelegenheit, ein weiteres Exemplar der kleinformatigen Klee-Reihe zu studieren, die wie ein umlaufender Fries die Wände des Raumes schmückte. Um sich die Zeit zu vertreiben, nahm er sich im Rahmen einer stillen Exegese zu jeder Sitzung ein neues Bild vor. Darunter litt natürlich seine Aufmerksamkeit, und er vergaß mitunter, auf Fragen seiner Frau oder der Therapeutin zu reagieren. Rünz versuchte jedes Mal, das abstrakte Spiel aus Linien, Flächen und Farben zu dechiffrieren, in die Sprache des Gegenständlichen zu übersetzen, aber er scheiterte stets an der entschiedenen Subjektivität der Kunstwerke. Um die innere Unruhe zu dämpfen, die die Gemälde in ihm auslösten, hatte er sich ein Erklärungsszenario zurechtfantasiert, das den gesamten Expressionismus als genialen marktstrategischen Coup decouvrierte. Klee und Kandinsky, so mutmaßte er, hatten während ihrer gemeinsamen Zeit an der Münchner Kunstakademie die Köpfe zusammengesteckt, um Prognosen über Zukunftsmärkte für bildende Künste zu
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