Binding, Tim
leeren
Platz mir gegenüber, den sie ausgefüllt hatte, Ellbogen auf dem Tisch, Kopf auf
den Handballen, das glänzende Haar, das ihr ums Gesicht fiel wie ein dunkler
welliger Rahmen. Dann goss ich zwei Tassen ein, eine für sie, eine für mich,
zündete zwei Zigaretten an, eine in jede Untertasse.
»So, da wären wir wieder, Äffchen«, sagte ich. »Du und
ich. Jetzt kann ich dir alles erzählen.«
Und dann erzählte ich, von ihrer Mum und mir, wie das
zwischen uns war, wie ich sie das erste Mal sah, im Kinderwagen, als sie
meinen Finger ergriff, ihn ganz fest hielt, als hätte sie da schon gewusst, wer
ich war und was ich für sie war. Später durchsuchte ich den Wohnwagen, Stück
für Stück, nach Spuren von ihr, nach Dingen, die ich festhalten konnte, doch
wir ließen nie viel hier, sie und ich, als wäre uns klar gewesen, dass es ein
Geheimnis bleiben musste, was wir hier machten. Ein paar Dinge waren aber noch
da, eine weitere Promizeitschrift von ihr, hinten hinters Bett gestopft, jede
Seite mit John-Lennon-Brillen und Draculazähnen beschmiert. Ich musste immer
lachen über das, was sie so zeichnete, jetzt konnte ich den Anblick kaum ertragen,
so lebendig waren die Zeichnungen, so selbstsicher, unverschämt lebendig. Ich
fand eins von den Haargummis, die sie benutzte, wenn sie den Abwasch machte,
und hinter der Eingangstür, in einem Spalt zwischen Wand und Regal, steckte ein
Fläschchen Nagellack. Ich erinnerte mich, wie sie einmal nachmittags auf den
Stufen gesessen und sich die Zehennägel lackiert hatte, den Rock hochgeschoben,
die Zungenspitze herausgestreckt, während sie sich darauf konzentrierte,
schöne, saubere Pinselstriche hinzukriegen. Also setzte ich mich an den Tisch
und lackierte mir auch die Nägel, fünf Finger und zwei Daumen, leuchtend
dunkelrot, das Glaslicht flackernd auf meinen Händen, als würden sie Blut pumpen.
Dann dämmerte der Morgen, saugte die Farbe aus mir raus,
wälzte Nebel über das Gras. Ich schlief ein, wurde wach von dem Geräusch der
erlöschenden Gasflammen, die Sonne schon hoch am Himmel, die Wolken weggeweht.
Ich sah auf die Uhr. Zehn vor elf. Fast der ganze Vormittag um. Auf einmal
wusste ich, wer meine Fische auf dem Gewissen hatte, ich wusste es, sobald ich
die Augen aufschlug. Vielleicht hatte ich die Antwort geträumt, vielleicht
hatte ich es die ganze Zeit gewusst. Es war Audreys Schuld, sie und ihr
verfluchtes Päckchen. Der Schuss war nach hinten losgegangen und hatte mich
getroffen: Ian hatte sich für den BH und den Brief und alles andere gerächt,
was ich ihm im Laufe der Jahre angetan hatte. Er wusste von Torvill und Dean,
wusste, was sie mir bedeuteten.
Ich wusch mir das Gesicht in der kleinen Spüle, die Seife
hart, das Wasser tröpfelnd und kalt, trocknete mich am Vorhang ab. Ich öffnete
die Tür, spürte, wie die abgestandene Luft nach draußen strömte. Iss stand
unten vor den Stufen. Sah aus, als wäre auch sie die halbe Nacht wach gewesen.
»Audrey hat gesagt, ich würde dich hier finden.«
Sie schob mich beiseite.
»Was willst du, Iss?«
»Die Wahrheit.«
Sie nahm die Whiskyflasche.
»Was ist das, Al? Ertränkst du deine Schuldgefühle?«
Sie warf eine zerknüllte Zeitschrift nach mir. Die Titelseite
war vollgekritzelt, mit Augenklappen und Pinocchio-Nasen und Teufelshörnern.
»Die lag in ihrem Zimmer«, sagte sie, ihre Stimme tonlos,
müde. »Schlag die erste Seite auf.«
Ich tat es. In einer Blase, die aus Catherine Zeta Jones'
Mund kam, stand in Mirandas Handschrift: Al. 4.30. Dienstag.
»Muss was mit dem Taxi zu tun haben«, sagte ich. »Als sie
noch für uns gearbeitet hat.«
»Gib's auf. Sieh dir das Datum an.«
»Ah.«
»Vier Uhr dreißig morgens oder nachmittags, Al? Welcher
Dienstag?«
»Ehrlich, Iss. Ich habe keine Ahnung.«
Dann sah sie sie auf dem Tisch liegen, die anderen Zeitschriften,
die anderen Kritzeleien, und daneben das Haargummi und den dunkelroten
Nagellack. Sie hob die Hand an den Mund.
»Mein Gott. Sie war hier, nicht? Deshalb das Zucken neulich
morgens, du verlogener Scheißkerl. Es hatte gar nichts mit Audreys gelbem
Regenmantel zu tun. Sondern mit Miranda. Du hast dich hier mit ihr getroffen.«
Dann sah sie meine Hände, die rotglänzenden Fingernägel,
begriff, was ich getan hatte. Sie fing an zu würgen, als furchtbare Gedanken in
ihr aufstiegen. »Oh Gott, Al! Bitte nicht sie!«
»Es ist nicht so, Iss. Ehrlich.« Ihre Augen huschten wie
wild hin und her. Ich konnte nicht zulassen, dass sie das
Weitere Kostenlose Bücher