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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cliffhanger
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sicher, ob es Absicht war. Weg vom
Fenster, ehe irgendwelche schlimmen Gedanken und Panik einsetzen können. Kaum,
dass sie zu sich gesagt hat, »Oh Gott, ich bin von der Klippe gefallen, ich
sterbe«, und angefangen hat zu schreien, ist es schon vorbei. Sie ist tot, und
wir sind alle untröstlich, und Carol fliegt ein zur Beerdigung und bleibt eine
Woche, bis sie sicher ist, dass ich klarkomme, und Mrs Schnüffelnase von zwei
Häusern weiter schleppt irgendwelche Fressalien zum Aufwärmen an, und dann ist
alles vorbei, finito, und ich kann mit meinem
Scheißleben weitermachen. Meinem Scheißleben. Ein nettes Plätzchen, glaube ich.
    Also, zurück zur Sache. Ich husche aus dem Haus und seh
nach, ob auch niemand unterwegs ist oder mich durchs Fenster beobachtet, halte
mich immer schön am Rand und leg einen Zahn zu, weil Audrey gut zu Fuß ist.
Stämmige Beine, großgewachsen, trottet eigentlich eher wie ein Kamel durch die
Gegend, weniger wie eine Frau. Von Anmut keine Spur. In den ersten Jahren hat
mich ihre Masse nicht gestört, ihre Kraft. Das Wilde, irgendwie Herausfordernde
gehörte einfach zu ihr. Wenn sie damals in Wallung geriet, packte sie mich,
warf mich über die Schulter und trug mich herum, ehe sie mich zu Boden
schleuderte und auf mich draufsprang, wie eine verschwitzte Amazone. Ich fand
das toll, stachelte sie förmlich dazu an. Inzwischen finde ich's eher widerlich,
die ganzen erschlafften Muskeln und so. Jedenfalls, der hintere Weg bietet ein
paar Aussichtspunkte, von denen man den eigentlichen Pfad rauf zum Kliff einsehen
kann, ehe er hinter dem Grabhügel verschwindet oder was auch immer diese Beule
da oben ist, und tatsächlich, da war sie, stapfte den Pfad hoch, die Hände tief
in den Taschen, Kopf gesenkt, vornübergebeugt, als würde sie ihre verlorene
Kontaktlinse suchen. Sie hatte einen ganz schönen Schritt am Leib, so viel
stand fest, daher musste ich mich ein bisschen ins Zeug legen, um vor ihr da zu
sein. Ich brauchte nicht lange.
    Oben am Kliff, auf der Seite zum Meer hin, verläuft diese
flache Senke bis zum Rand der Klippe, und unterhalb der Beule duckt sich ein
Ginsterbusch, ein ziemlich großer. Wenn einem danach ist, kann man da
reinkriechen. Er ist nämlich innen hohl, wie ein Zelt. Geschützt. Abgeschieden.
Ich war schon ein paarmal drin. Hab noch immer Kratzer davon.
    Ich versteckte mich also da. Und wartete. Und wartete und
wartete. Kriegte wahnsinnigen Schmacht auf eine Kippe, traute mich aber nicht,
mir eine anzustecken. Und dann hörte ich sie, und sie weinte, heulte wie ein
Schlosshund, ein Klang, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Das hätte mich
natürlich stutzig machen müssen, aber dann lugte ich nach draußen, und da stand
sie, mit dem Rücken zu mir, keine anderthalb Meter vom Rand entfernt, wie sie
es immer tat. Wieso machen Leute das, sich so dicht an den Rand stellen?
Nicht, dass ich mich beklage. Ich meine, schließlich wollte ich sie genau da
haben, dicht am Rand, aber verstanden hab ich dieses Bedürfnis nie. So was
muss doch irgendwann schiefgehen. Jedenfalls, da stand sie nun, dem sicheren
Tod so nah, wie ein Mensch es sich gerade eben noch traut, die Kapuze
übergezogen und laut heulend, und ich dachte, so, Al, es ist so weit, Alter,
und sprang einfach vor und gab ihr einen Schubs, und sie stolperte nach vorne,
und weg war sie. Einfach so. Ich meine, es war unglaublich. Kein Schrei, kein
Mucks, nur ihre Arme, die in der Luft flatterten, als wäre sie eine Gans, die
auf dem Wasser landen will, und dann kippte sie nach vorn und war futsch.
Verschwunden. Für immer. Es war so verflucht simpel. Unvorstellbar, dass ein
kleiner Stoß mit der Hand alles verändern konnte. Bloß ein einziger Schubser,
und die ganze Welt hatte sich verändert. Mein Leben hatte sich verändert.
Keine Streitereien mehr über dies und das, kein Töpfescheppern mehr, keine
kalte Schulter mehr nach einer Sauftour, wenn ein Mann horizontale Gedanken
kriegt. Nicht, dass ich sie je gezwungen hätte. Hab nie im Leben auch nur
einen Finger gegen sie erhoben. Würde ich auch nie. Von so was halte ich
nichts. Ein Mann, der so was macht, ist in meinen Augen ein ausgemachter
Feigling. Das hier war was anderes. Das hier war, wie es in Filmen so schön
heißt, rein geschäftlich.
    Jedenfalls, hier war ich also. Vor mir ein Stück Klippe
und das Meer. Über mir nur Himmel. Ich war allein. Keiner hatte mich gesehen. Ich
war gar nicht hier. Ich schlich nach Hause, ganz vorsichtig, ließ mir

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