Binding, Tim
guter Nachbar, Mrs Blackstock. Wollte Ihren
Schlüssel zurückbringen.«
Sie nahm ihn widerwillig, Fragen in den Augen.
»Ist sonst alles in Ordnung? Brauchen Sie irgendwas?«
»Nein danke, Al.« Sie war längst nicht so freundlich wie
zuvor. Nach allem, was wir für sie getan hatten.
»Dann geh ich mal wieder. Dürfte ich vorher wohl rasch mal
das Klo benutzen, Mrs Blackstock? Ist plötzlich ganz dringend.«
»Wenn's sein muss.«
Ich ging wieder den Flur hinunter, öffnete und schloss
extra laut die Badezimmertür. Duncans Zimmer lag gegenüber. Ich bückte mich,
fummelte vorsichtig mit dem Schlüssel, zog den Klingelzug.
Sie war hier gewesen. Auf dem Sideboard standen Blumen,
weiße mit einem starken Duft, das ganze Zimmer stank, als hätte sie hier eine
Leiche versteckt. Die Vorhänge waren noch geschlossen. Ich hatte den Eindruck,
als ob dieser Raum nie das Tageslicht sah, eigentlich ein bisschen so wie die
Bewohnerin. Auch sie war verschlossen, wie dieses Zimmer, die Erinnerungen
schön weggepackt, eingeschlagen in Seidenpapier. Hin und wieder deckte sie
sich mit Lebensmitteln ein.
Ich öffnete nacheinander die Kommodenschubladen, wie ein
richtiger Einbrecher, von unten nach oben. Ich hatte recht gehabt. Die Waffe
lag unter einer Tasche, als würde er sie noch tragen, eingepackt in einen
Lederbeutel, ein kurzläufiger Revolver, blaugrau, gefährlich aussehend, leicht
zu halten. Ich hatte noch nie was für Schusswaffen übrig. Viele Typen, die ich
kannte, standen drauf, aber ich nie, hatte immer irgendwie Angst davor, das
schwere Gefühl in der Hand, als wärst du schon in der Leichenhalle aufgebahrt.
Tote Dinger, was anderes sind Knarren nicht. Es gibt nichts, das sich so
schwer anfühlt wie das Gewicht einer Knarre. Doch in diesem Moment wünschte
ich, ich hätte mir wenigstens ein paar Grundkenntnisse angeeignet. Ich wusste
gar nichts, hatte keine Ahnung, wie ich überprüfen konnte, ob sie geladen oder
gesichert war, ob ich sie gefahrlos einstecken konnte. Ich versuchte, sie zu
öffnen, drückte auf der Suche nach einer Verriegelung am Lauf herum, versuchte
mich zu erinnern, wie die im Film das immer machten, und plötzlich klappte das
Ding einfach auf, wie ein Spielzeug, sauber und glänzend und leer. Ich schob es
in meine Jackentasche, schloss die Schublade mit dem Knie, nahm mir die anderen
vor. Nichts unter den Kaschmirpullovern, nichts unter den Hemden. In der
obersten Schublade kamen die vielen kleinen Dosen. Natürlich. Die Patronen
lagen ganz hinten. Ich steckte sie in die Tasche, dann nahm ich das Manschettendöschen
in die Hand, lugte noch einmal hinein. Ich war versucht.
»Aspreys. Hat er sich nach seiner ersten goldenen Schallplatte
gekauft.« Ich fuhr herum. »Alice.«
»Gras, Wodka, Schokolade. Haben Sie noch immer nicht
genug?« Sie streckte die Hand aus. »Los, her damit.«
Ich zögerte. Ich hätte sie packen und die Treppe runterschmeißen
können, ohne Probleme, das wussten wir beide, bei meiner Größe, bei ihrer
Größe, aber ich konnte mich nicht bewegen. Im Grunde genommen bin ich ein
Feigling. Ich gab sie zurück. Sie drohte mir mit dem Finger, ihr Gesicht ganz
streng, ganz Oberlehrerin. Hätte sie ein Lineal gehabt, hätte sie es mir über
die Fingerknöchel gezogen.
»Das ist nicht gut, Al. Haben Sie etwa gedacht, ich würde
es nicht merken, nicht wissen, wer sie genommen hat? Die ganze Zeit, die Sie an
dem Abend hier oben waren, das Licht eingeschaltet, und alles durchwühlt haben.
Wundert mich, dass Sie sie nicht da schon genommen haben.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Mrs Blackstock.«
»Ich auch nicht. Ich hab gedacht, wir sind Freunde, Al.«
»Ich hatte keine bösen Absichten. Ich... ich hab mich bloß
gefragt, wie sie wohl aussähen, an meinen Handgelenken, am Steuer vom Vanden
Pias. Al Greenwood, ein Hauch von Klasse.«
Sie musterte mein Gesicht.
»Sie haben getrunken, nicht?«
»Ein wenig.«
»Keine gute Idee, wenn man nicht weiß, wer man ist.«
Sie ging an mir vorbei, legte die Dose zurück und berührte
sein Foto, als sie die Schublade schloss.
»Er war ein guter Mann, Duncan.«
»Das sehe ich. Das erkennt man an seinem Lächeln.«
»Sie sind kein guter Mann. Sie könnten einer sein, aber da
sitzt ein böser Mann auf Ihrer Schulter und flüstert Ihnen ins Ohr. Das hab
ich schon immer gedacht, obwohl es Augenblicke gibt...«
»Augenblicke?«
»In denen ein anderer Al zum Vorschein kommt. Methusalem,
Torvill und Dean, wie Sie mir geholfen
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