Bindung und Sucht
bedarf. Aber auch die Gestaltung therapeutischer Situationen in der Psychotraumatologie, d. h. die möglicherweise bestehende komorbide Abhängigkeit nicht zu verleugnen, profitiert von einer Öffnung der Sichtweise und vom Kontakt zum System der Suchtkrankenhilfe. Auf der andern Seite wird manche gute Suchttherapie letztendlich ineffektiv bleiben und nicht zu dauerhafter Stabilität führen, wenn nicht die komorbid bestehende, oder wenn man so will: hier zugrunde liegende, PTBS behandelt wird. Denn die unbehandelte PTBS wird in ihrer Symptomatik fortwährend eine Quelle der Belastung darstellen, die das Risiko eines Rückfalls in den Drogengebrauch und somit die Abhängigkeit erhöht. Hier fügt sich Eye Movement Desensitization and Reprocessing als eine Methode der speziellen Psychotraumatherapie ein.
Dabei ist dringend zu berücksichtigen, dass die therapeutischen Möglichkeiten einer flexiblen Anwendung im Rahmen des gesamten Behandlungsplanes bedürfen. Auch in der Situation einer zwar kurzen, aber sich wiederholenden stationären qualifizierten Entgiftung können traumatherapeutische Elemente integriert werden. Hier sehen wir sowohl die komplex und früh traumatisierte Patientin – mit Hinweisen auf eine komplexe PTBS und deutlicher dissoziativer Symptomatik, abhängig von Opiaten mit weitgehender Therapierefrakterität und nur basal sozial stabilisiert – wie auch den über lange Jahre trockenen Alkoholiker,der nach dem Miterleben eines tödlich verlaufenden Unfalls eine PTBS entwickelt und rückfällig wird.
Die unterschiedlichen Situationen erfordern zwangsläufig unterschiedlich komplexe therapeutische Ansätze. Sicherlich ist zu berücksichtigen, dass die in ihrer Kindheit schwerst traumatisierten Patienten konsekutiv auch eine schwere Abhängigkeit entwickeln, oft von illegalen Drogen mit all den Problemen, die wir gut kennen. Es ist müßig zu erwähnen, dass die Krankheitsbiografie dann oft zu weiterer Traumatisierung führt, zumindest das Risiko deutlich erhöht. Hier kann es keine »schnelle Therapie«, auch keine schnelle Psychotraumatherapie geben. Allerdings liegen mittlerweile deutliche Hinweise vor, dass die Psychotraumatherapie die spezifische Therapie der Abhängigkeit deutlich erleichtert und positive Behandlungsergebnisse fördert (Hien et al. 2010; Marich 2009).
Eye Movement Desensitization and Reprocessing
Ich möchte Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) zuerst im Überblick darstellen, um danach das Verfahren im Detail zu erläutern und auf die Anwendung bei traumatisierten Abhängigen einzugehen.
Die EMDR-Methode kann als die am besten untersuchte Therapie der PTBS gelten (Hofmann 1999; Shapiro 2001, 2002). Für einen Überblick über die Datenlage zum Wirksamkeitsnachweis empfiehlt sich die Lektüre der Metaanalyse von Sack et al. (2001) und ein Blick auf die Homepage des EMDR-Instituts Deutschland ( www.emdr-institut.de ). Die Anerkennung des wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie in der BRD liegt mittlerweile vor.
Als effektive Methode der Traumatherapie gelangt EMDR bei chronischer und komplexer PTBS (Melbeck et al. 2003) wie auch akuter Traumatisierung zur Anwendung (Hase 2002). Dabei beginnen erste Studien über die Anwendung bei Kindern und Adoleszenten die in der Praxis gesehene Wirksamkeit empirisch zu belegen (Greenwald 2000; Chemtob et al. 2002; Jaberghaderi et al. 2004). Eine Adaption des EMDR-Verfahrens wird in der Stabilisierungsphase im Phasenmodell der Psychotraumatherapie genutzt. Im Vorgehen des Ressource Development and Installation (RDI) werden bilaterale Stimuli zur Verstärkung positiven Materials genutzt. Eine kleine Studie berichtet über positive Effekte des RDI in der Behandlung komplex traumatisierter Patienten (Korn & Leeds 2002).
EMDR ist ein strukturiertes Verfahren, in dem relevante Zielerinnerungen aus der Vergangenheit, posttraumatische Alpträume, aktuelle Symptome, Triggerund traumabedingte Verhaltensprobleme in der Gegenwart, Vermeidungsverhalten und traumabezogene Zukunftsängste bearbeitet werden. In einem acht Phasen umfassenden Behandlungsablauf wird ein konkretes Thema, z. B. eine Traumaerinnerung, aufgesucht, vorbereitet, verarbeitet (reprozessiert) und in der Katamnese überprüft. In der Vorbereitung wird die Traumaerinnerung gezielt und schonend angesprochen. Diese so vorbereitete Traumainformation wird dann in der Phase der Verarbeitung reprozessiert. Danach kann ein zu Beginn formulierter positiver Glaubenssatz
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