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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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»Maternal Self Confidence Scale« (Lips, Bloom & Barnett 1988) beschrieben sie sich als hochsignifkant weniger selbstvertrauend als die Mütter der Kontrollgruppe.
    Die drogenabhängigen Mütter sind weniger frei und offen für ihre Kinder, gleichzeitig setzen sie größte Hoffnungen in ihr Kind als Wegbereiter eines neuen Lebens. Zur Frage: »Wie hat sich für Sie als Frau durch das Kind Ihre Lebensperspektive verändert?«, nannten nahezu alle Klientinnen mit Drogenproblemen (und nur wenige Mütter der Kontrollgruppe):
eine signifikante Änderung der Lebensperspektive in Richtung auf einen Neuanfang,
Erwachsenwerden, Übernahme von Verantwortung,
neuer Sinn und neues Ziel, die Hoffnung schlechthin, eine Analogie zum »Christkind«: »Der Erlöser ist mir geboren. Dieses Kind wird mich aus meinem Elend erretten, wird Schuld von mir nehmen, wird mir eine neue Zukunft geben« (Zitat einer untersuchten Mutter). Diese idealisierende Wunsch-Zuschreibung steht in krassem Kontrast zur erlebten Wirklichkeit. Das bringt das Kind in eine potentiell überfordernde Rollenumkehr.
    Etwas überhöhte Wünsche und Vorstellungen sind sicherlich für jeden Neuanfang einer Kleinfamilie oder einer Mutter-Kind-Dyade charakteristisch: Die Chance, neu zu beginnen, verbunden mit den Möglichkeiten, sein Leben zu verbessern und ein liebevoll aufeinander bezogenes Leben zu gestalten, ist generell nicht ganz unrealistisch. In belasteten Verhältnissen, bei fehlender Unterstützung oder bei fehlendem hilfreichem Kontext, besteht allerdings die Gefahr des Scheiterns. Hierin liegt eine besondere Bedeutung für die Implementierung von Hilfen für diese Mütter.
    Der von Codreanu und Engfer (1984) konstruierte und validierte »Fragebogen zur Erhebung der Einstellungen von Müttern mit Kindern im Kleinstkindalter« (EMKK) erfasst auf neun Skalen wichtige Einstellungen wie Rigidität, Tendenz zum Strafen, eigene unglückliche Kindheit, Überforderung, Depressivität und Frustrationstoleranz der befragten Mütter. Die in den meisten Dimensionen hochsignifikanten Unterschiede belegen Einstellungen, die – im Vergleich zur Kontrollgruppe – bei den drogenabhängigen Müttern als verzerrt und als Ausdruck hoher psychischer Belastung angesehen werden müssen. So erleben sich die drogenabhängigen Mütter als wesentlich erschöpfter, voller Selbstzweifel und in der Beziehung zu ihrem Kind ratloser. Sie neigten – anders als dieVergleichsgruppe – eher zu rigiden, nicht kontingent abgestimmten Interaktionsmustern mit einer deutlich höheren Tendenz zu strafendem Verhalten. Dies korrespondierte mit der eigenen Erfahrung einer unglücklichen Kindheit.
    So zeigte sich in den Videosequenzen, dass diese Mütter manchmal die Vorstellung hatten, das Kind tue ganz bewusst etwas gegen ihren Willen. Dies kann vor dem Hintergrund eigener kindheitstraumatischer Erfahrungen als beabsichtigte Provokation erlebt werden und bei vielen belasteten Müttern die Schwelle zu Ärger bis hin zur Anwendung von Gewalt senken. Aus ihrer Erziehungs- und Beziehungsunsicherheit heraus tendierten die Mütter zwar zu übertriebener Fürsorglichkeit, erwarteten aber gleichzeitig selber Fürsorge, Trost und Zuwendung vom Kind, das damit die eigenen Gefühle der Einsamkeit und die emotionale Bedürftigkeit kompensieren sollte. Das Selbstbild der drogenabhängigen Mütter ist dementsprechend gegenüber der Kontrollgruppe signifikant depressiver, auf dem Hintergrund der eigenen meist unsicheren Bindungsrepräsentation und der oft geäußerten Schuldgefühle, z. B. wegen der eigenen Drogenproblematik. Der in der EPDS (Edinburgh Postnatal Depression Scale; Cox et al. 1987) ermittelte Depressionsscore war gegenüber der Kontrollgruppe zweifach erhöht. Lynne Murray belegte die Annahme, dass eine Depression der Mutter beim Kleinkind wesentlich zu einer unsicheren, meist vermeidenden Bindung beiträgt (Murray et al. 2003). In ihrer Längsschnittstudie wies sie zudem nach, dass daneben auch eine kognitive Vulnerabilität für depressive Gedanken und Gefühle angelegt wird (Murray 2011).
    Als letzte Parameter wurden die globalen Funktionsmaße der Mutter-Kind-Dyade erhoben: einmal die von Mary Ainsworth und Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern konstruierte fünfstufige Feinfühligkeitsskala und zudem aus der »Zero to three«-Klassifikation, der psychiatrischen Klassifikation für Säuglinge von null bis drei Jahren, die Globale Einschätzung der Eltern-Kind-Beziehung (GES-EKB, Zero to three

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