Bindung und Sucht
Seelische Gesundheit und entwicklungsbedingte Störungen bei Säuglingen und Kleinkindern . New York u. a. (Springer).
Ziegenhain, U., Fries, M., Bütow, B. et al. (2006): Entwicklungspsychologische Beratung für junge Eltern . Weinheim (Juventa).
KAREN M. FAISANDIER, JOANNE E. TAYLOR, ROBYN M. SALISBURY UND SHANE T. HARVEY
Zur Frage des Zusammenhangs zwischen Bindung und unkontrolliertem Sexualverhalten
»Out of Control Sexual Behavior« (OCSB, unkontrolliertes Sexualverhalten [im Folgenden wird der deutsche Begriff oder die Abkürzung OCSB verwandt]) macht den betroffenen Personen sehr zu schaffen und hat häufig verheerende Folgen für sie selbst, für ihre Partner, ihre Kinder und die größere Gemeinschaft. Verbunden mit Leid und Kummer für das Individuum und/oder die Partnerperson, schließt unkontrolliertes Sexualverhalten ein weites Spektrum sexueller Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen ein, die eine funktionale Beeinträchtigung der Person zur Folge haben. Dem unkontrollierten Sexualverhalten liegen oft emotionale und zwischenmenschliche Schwierigkeiten zugrunde, und es liegen, zusammen mit ihm, psychische Störungen und Drogenprobleme vor.
Der jüngeren bindungstheoretischen und neurowissenschaftlichen Forschung zufolge könnten problematische Bindungserfahrungen mit den Bezugspersonen an diesen Schwierigkeiten beteiligt sein: Frühe Bindungsbeziehungen haben großen Einfluss auf das Potential für gesunde sexuelle Beziehungen und auf die Fähigkeit zur Intimität. Menschen, deren diesbezügliche Fähigkeiten unzureichend sind, nehmen in ihrer Suche nach Zuspruch und Nähe unter Umständen fehlangepasste Verhaltensweisen wie etwa ein unkontrolliertes Sexualverhalten an. Die wenigen Studien, die sich mit Fragen der Bindung im Rahmen eines unkontrollierten Sexualverhaltens befassen, konstatieren eher unsichere als sichere Bindungen bei Menschen, die derartige Probleme haben; tatsächlich bedarf es aber weiterer derartiger Untersuchungen, vor allem bezüglich der Rolle der Bindung im Rahmen der Erfassung des Problems und im Rahmen entsprechender Interventionen. Bis heute gibt es kaum Untersuchungen zur Frage der wirksamen Behandlung unkontrollierten Sexualverhaltens, und entsprechende Bemühungen aus bindungstheoretischer Sicht sind noch nie evaluiert worden. Der therapeutische Dienst »Sex Therapy New Zealand« (STNZ) 1 arbeitet gegenwärtig in Fällen von Klienten, bei denen unkontrolliertes Sexualverhalten vorliegt, mit einer bindungs- und intimitätsorientierten Methode (Salisbury 2008).Wir planen, die Wirksamkeit dieser speziellen Therapiemethode anhand der Behandlungsergebnisse zu überprüfen. Hier wollen wir zunächst die Forschung zum Thema »Bindung und unkontrolliertes Sexualverhalten« in den Blick nehmen und dann darüber diskutieren, was sich daraus in Bezug auf zukünftig vorzunehmende Untersuchungen ergibt.
Was ist unkontrolliertes Sexualverhalten?
Zunächst ist es wichtig, die komplexe Natur des unkontrollierten Sexualverhaltens zu verstehen. Patrick Carnes hat vor nahezu drei Jahrzehnten den Begriff sexual addiction , Sexsucht, eingeführt, um Individuen zu kennzeichnen, die ein »zwanghaftes Sexualverhalten« an den Tag legen (Carnes 1987, 1989, 1992). Das Erscheinen seines Buchs The Sexual Addiction (1983. Dt. 1987) fand allerdings eine so kontroverse Aufnahme, dass es in einer späteren Auflage den Titel Out of the Shadows trug (vgl. Schneider 2004), und Carnes’ Behauptung, zwanghaftes Sexualverhalten sei eine Sucht, regte eine lebhafte Debatte in der Fachliteratur an. Tatsächlich konzentrierte sich der Großteil der einschlägigen klinischen Forschung damals darauf, eine Definition und eine genaue Klassifikation der entsprechenden Verhaltensweisen festzulegen – also sexueller Gedanken, Gefühle oder Aktivitäten, die in ihrer Häufigkeit und Intensität das persönliche, das zwischenmenschliche oder auch das berufliche Funktionieren der betroffenen Person behindern (Parsons et al. 2008). Dabei kann es sich um zwanghaftes Masturbieren, um das Betrachten pornografischen Materials oder um bestimmte Formen von Partner-Sex (bezahlt oder unbezahlt, anonym, promiskuitiv oder monogam) handeln; ferner um die zwanghafte Nutzung des Internets zu sexuellen Zwecken; um Exhibitionismus, Voyeurismus oder sexuellen Fetischismus; 2 um gefährliche oder illegale sexuelle Praktiken und darum, dass übermäßig viel Zeit auf sexuelle Fantasien verwendet wird (Carnes & Adams 2002; Hall 2006;
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