Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
wollte.
Hunds Familie nahm die Nachricht von der Verehelichung gut auf, da jetzt ein Maul weniger gestopft werden musste. Außer Hund war da noch ein Haufen anderer Kinder verschiedenen Alters, eine kleine, kugelrunde Mutter und ein verkrüppelter Vater, dem ein Arm fehlte. Es grenzte an ein Wunder, dass die beiden es geschafft hatten, so viele Kinder zu machen.
Hund hatte ihren Zukünftigen in einer der fünf neuen Kirchen kennengelernt. Zu ihrer Rechtfertigung sagte sie:
»Mir war langweilig«, aber diese Erklärung klang so unsagbar traurig, dass man spürte, sie meinte eigentlich: »Ich habe mich einsam gefühlt.«
»Hund«, forderte Lena sie auf, »geh in die Schule! Dort ist es nie langweilig!«
Doch die Schule hatte für Hund längst jegliche sinnvolle Bedeutung verloren. Lesen und schreiben konnte sie, mehr brauchte sie nicht. Sie hegte keine großen Hoffnungen bezüglich ihrer Zukunft, und als sie klein war, hatte ihr niemand erzählt, dass man warten muss, bis aus einem etwas Großes rauskommt. Von der Körpergröße her kam Hund ganz nach ihrer Mutter. Hübsch war sie nie gewesen und ihre Haare hatte sie immer zu einem farblosen dünnen Zöpfchen geflochten.
»Und hast du mit ihm auch schon, na ja … geschlafen?«, fragte Lena vorsichtig.
»Ja«, antwortete Hund, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, »und nicht nur mit ihm. Mit vielen anderen auch.«
Ihr Mann, der ungefähr zwanzig Jahre älter war, brachte sie in ein Kaff mit zehn Einwohnern. Hund wirkte zufrieden. Sie hatte jetzt ihr eigenes Haus, ihr eigenes Bett und ihren eigenen Fernseher.
Die Sache mit dem Fernseher war dann allerdings nicht so einfach, weil Hunds Mann ihr von Anfang an das Fernsehen verbot. Die Religion erlaubte es nicht. »Du brauchst dir dein Gehirn gar nicht erst mit diesen frivolen Serien und lügnerischen Nachrichten vollzustopfen!« Wieso er dann überhaupt einen Fernseher zu Hause stehen hatte, blieb ein Rätsel. Vielleicht wollte er jeden Tag seinen Willen trainieren und so die Tiefe seines Glaubens ausloten.
Da sowohl Hunds Wille als auch ihr Glauben am absoluten Nullpunkt waren, sah sie dennoch heimlich fern, und weil es verboten war, machte es ihr doppelt Spaß. Bis sie eines Tages von ihrem Mann auf frischer Tat ertappt wurde. Er sagte nichts, wechselte aber auch die nächsten zwei Monate kein Wort mit ihr. Hund hielt das anfangs für eine Art Scherz. Sie hoffte, er würde ihr nicht lange böse sein, doch der Mann hatte seinen Willen über Jahre gestählt – er war im wahrsten Sinne des Wortes eisern .
Nach zwei Monaten brach er endlich das Schweigen und eröffnete ihr seine Wahrheit:
»Das Fernsehen ist des Teufels. Tu das ja nie wieder. Denk an deine arme Seele, wie sie in dieser feindseligen Welt, wie sie in deinem armseligen Körper leiden muss. Wenn du den Fernseher noch einmal aufdrehst, werde ich ein halbes Jahr nicht mit dir reden.«
Da wurde Hund zum ersten Mal bewusst, dass er es ernst meinte. Nach zwei Monaten des Angeschwiegenwerdens war sie schon fast so weit, mit ihrem eigenen Schatten und mit den Mäusen in der Speisekammer zu sprechen. Den Fernseher schaltete sie vor lauter Angst nicht mehr ein. Doch das sollte erst der Anfang ihrer Läuterung sein.
Die nächste Phase war der Ernährung gewidmet: Hund durfte nicht viel essen, denn die Verdauung verhindert die Annäherung an Gott.
Für Hund war das ein Schlag unter die Gürtellinie. Essen war ihr das Liebste auf der Welt, wenn nicht sogar der einzige Beweis dafür, dass es etwas Höheres gibt. Wenn sie etwas zu essen hatte, bedeutete das für Hund, dass es einen Gott gab und dass dieser Gott gut war.
»Du darfst nur Schwarzbrot essen«, ordnete Hunds Mann an, »Weißbrot kommt mir keines ins Haus. Fleisch und Wurst kannst du vergessen. Ein Ei hin und wieder ist in Ordnung, aber nicht zu oft. Reis ist verboten, der kommt aus China, und dort glauben sie nicht an Gott. Kartoffeln und Bohnen kannst du meinetwegen essen. Aber das beste Essen für einen gläubigen Menschen ist immer noch Schwarzbrot. Und Wasser. Verstehst du, was ich meine?«
Hund klaute ihrem Mann Kleingeld, um sich im einzigen Lebensmittelladen Würstchen zu besorgen. Sie verdrückte sie heimlich in der Nacht, während ihr Mann den Schlaf der Gerechten schlief. Sie wusste nicht, wie lange er nicht mit ihr sprechen würde, sollte er sie mit den Würstchen erwischen, doch ihr Gefühl sagte ihr: lange.
Hund begann sich vor allem zu fürchten. Sie hatte Albträume, in denen
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