Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
sie wie Jesus ans Kreuz genagelt hing und die Welt um sie herum mit Würstchen zugeschüttet und mit Ketchup übergossen wurde.
Hund durfte keine T-Shirts mehr anziehen, während ihrer Tage keine Binden tragen, sie durfte nicht mehr singen und ihre Verwandten weder besuchen noch anrufen. Sie durfte auch nicht laut lachen, aber ihr war sowieso nicht mehr danach zumute. Sie durfte ihre Haare nicht öfter als einmal im Monat waschen. Sie durfte nicht rauchen (was Hund sich zusammen mit Lena angewöhnt hatte und worauf sie von nun an verzichten musste), sie durfte ihrem Mann nicht widersprechen, weil der Mann Gottes Stellvertreter auf Erden ist, und ihm auch nicht in die Augen sehen, weil man Gott nicht anschauen darf, denn das ist Hochmut.
Um weitere Missverständnisse zu vermeiden, wurde schließlich ein eigens ausgetüfteltes Strafsystem eingeführt, welches übersichtlich auf einem Blatt Papier nachzulesen war. Der Zettel wurde mit einem Magneten an der Tür des leeren Kühlschranks befestigt.
Das Anschweigen stellte nicht die einzige Form von Bestrafung dar, da wären noch: eine Woche lang hungern, oder auch zwei, knien und – eine spezielle Idee von Hunds Mann – die ganze Nacht lang mit ausgestreckten Armen eine alte Tür über dem Kopf halten.
Die meiste Zeit verbrachte Hund jedoch mit Weinen. Manchmal tröstete ihr Mann sie und meinte:
»Weine dich aus. Die Tränen reinigen dich. Sie waschen jeglichen Ungehorsam gegenüber Gott unserem Herrn aus dir heraus. Du musst verstehen, dass du des Teufels bist. Verstehst du mich?«
Hund nickte. Sie verstand.
Einmal kamen Hunds zu kurz geratene Mutter und ihr einarmiger Vater zu Besuch, doch ihr Mann wollte sie nicht ins Haus lassen. Daraufhin zeigten sie ihn an und am nächsten Tag kam ein Polizist, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Er bot Hund an, sie könne mit ihm mitkommen, wenn sie das möchte. Hund lehnte ab.
»Ihr Mann soll Sie misshandeln«, sagte der Beamte, »stimmt das?«
»Nein«, antwortete Hund, »er schlägt mich nicht.«
Nach drei Jahren war alles vorbei. Lena hatte gerade ihr Studium begonnen.
Hunds Mann hatte festgestellt:
»Du bist nicht mehr zu retten. Das kann ich jetzt mit Sicherheit sagen. Am allerschlimmsten ist, dass wir keine Kinder haben. Du bist unfruchtbar. Warum bekommst du keine Kinder?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Hund.
»Ich kann’s dir sagen. Du kannst keine bekommen, weil du des Teufels bist. Verstehst du, was ich meine?«
Daraufhin begann Hund aus allen Körperöffnungen, die einem Menschen zur Verfügung stehen, zu bluten. Das Blut floss tagelang in Strömen, als wollte es aus ihrem Hundekörper fliehen. Das ganze Haus war voller Blut. Während Hund blutete, betete ihr Mann für ihre sündige, nicht mehr zu rettende Seele. Die Briefträgerin, die das Arbeitslosengeld vorbeibrachte (Hund und ihr Mann lebten ausschließlich davon), bekam die Situation mit und alarmierte die Rettung. Außerdem hatte die Briefträgerin dem Mann anscheinend eins mit dem Hocker übergezogen, sodass er bäuchlings auf den Boden knallte und so laut aufjaulte, als hätte er zum ersten Mal im Leben Schmerz gespürt.
Die Notärzte hatten Blut noch nie zuvor in dieser Menge und aus allen Körperöffnungen strömen sehen. Im Bezirkskrankenhaus war man auch nicht in der Lage, eine Diagnose zu stellen, und stopfte Hund nur Wattetampons in Ohren und Nase.
Nach drei Monaten kam sie wieder auf die Beine.
Lena besuchte sie im Krankenhaus und ging mit ihr im Park spazieren. Hund war sehr schweigsam. Zwischen ihnen, die sich einst zusammen auf den Weg gemacht hatten, lag jetzt ein tiefer Graben.
»Weißt du noch«, sagte Lena, um die Stille irgendwie zu verscheuchen, »wie du die Direktorin damals bei Oma Lida mit deinem Geschrei erschreckt hast? Und wie der Eimer mit der Hühnerscheiße auf ihrem Kopf gelandet ist?«
Hund wusste es nicht mehr, und Lena machte ihr keinen Vorwurf daraus.
Später würde sie sagen, dass niemand jemals schuldig ist, egal was er getan hat. Jemanden beschuldigen heißt sich selbst rechtfertigen. Für ihre Tat konnte Lena jedoch keine Rechtfertigung finden. Sie gestand: »Ich habe es tausendmal bereut, dass ich Iwanka damals diesen Spitznamen, ›Hund‹, gegeben habe. Es ist meine Schuld, dass sie jetzt wie ein Hund leben muss. Ich habe sie nicht davor bewahrt, als ich die Möglichkeit dazu hatte. Das einzig Gute ist, dass Hunde extrem zäh sind.«
»Gut, dass ihr keine Kinder miteinander habt«,
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