Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
Ortsgruppenleiter der kommunistischen Partei bezahlte Halbstarke, die die Kirche mit Kraftausdrücken beschmieren und sich nach Lust und Laune darin austoben sollten. Die Halbwüchsigen hätten das auch gratis getan, doch mit Bezahlung legten sie sich noch mehr ins Zeug. In der Kirche stank es schlimmer als in einer öffentlichen Toilette. Das Gotteshaus hatte weder Fenster noch Türen, es gab keine Ikonenwand, und unter dem Dach bauten Krähen und Schlangen ihre Nester.
Die Polen haben dann alles renoviert. Die Kirche stellte irgendein wichtiges Denkmal für ihre, also für die polnische Kultur, dar. Am Tag des heiligen Antonius – auch irgendein wichtiges Fest für die Polen – sollte die Kirche mit einem Gottesdienst feierlich neu eröffnet werden. Aus Polen kamen zehn Autobusse voll mit Wallfahrern und Touristen. Viele der Besucher hatten Vorfahren im Ort. In der Hoffnung, bekannte Namen auf den Grabsteinen zu finden, wanderten sie auf dem alten polnischen Friedhof umher und weinten wie die Kinder.
Die Dorfbewohner warfen sich für diesen Anlass ebenfalls in Schale und versammelten sich vor der Kirche, als wollten sie jeden Moment gemeinsam auf die Knie fallen und dem Papst in Rom die Treue schwören. Tatsächlich warteten sie aber auf Geschenke.
Irgendjemand hatte das Gerücht in Umlauf gesetzt, die Polen hätten Säcke dabei und würden während der Feier teure polnische Kleidung und Leckereien verteilen. Selbstverständlich geschenkt, aus purer Nächstenliebe.
Die versammelte Menge wartete ungeduldig. Die Kinder tummelten sich in Hörweite und warteten auf ihr Stichwort.
Die Eröffnung zog sich in die Länge. Die Wartenden traten unruhig auf der Stelle. Der polnische Pfarrer, ein reizender junger Mann, radebrechte auf Ukrainisch eine herzerweichende Rede über Zeit und Gedächtnis. Er bedankte sich bei der Dorfgemeinschaft für den Erhalt der Kirche, und einige der anwesenden Männer blickten betreten zu Boden.
Dann begann man endlich, die lang ersehnten Säcke aus den Bussen zu tragen. Die Menschen bekamen leuchtende Augen. Sie wussten, dass die Säcke für sie bestimmt waren. Ohne eine Erlaubnis oder ein paar feierliche Schlussworte abzuwarten, stürzten sie sich darauf wie die Kojoten auf eine tote Antilope. Anfangs versuchten die Polen, die Meute aufzuhalten, aber sie merkten schnell, dass man sie einfach niedertrampeln würde, und suchten lieber das Weite.
Die Säcke platzten an den Nähten auf und in einem Schwall purzelten tonnenweise Bonbons heraus. Die anfängliche Enttäuschung war schnell verflogen – Süßigkeiten waren eigentlich auch nicht so übel, zumal man nichts dafür bezahlen musste. Alle stopften sich die Hosentaschen voll, die Kinder rauften und die Erwachsenen nahmen ihnen die Beute weg.
Lena sagte später, sie hätte dabei mitgemacht, wenn ihre Mutter nicht in der Schokoladenfabrik gearbeitet hätte. Sie hatte längst eine Allergie gegen Süßes entwickelt. Hätte man allerdings Fleisch oder Würstchen verteilt, dann wäre sie garantiert nicht tatenlos daneben gestanden.
Irgendein alter Knacker warf sich auf den Rasen und klaubte die Bonbons auf, als wären es Goldklumpen.
»Dass du dich nicht schämst!«, schrien die Omas, »lass die Bonbons doch dem Kleinen! Das Kind soll sie essen!«
Aber dann fielen sie selbst auf alle viere, um die Reste aufzusammeln.
Als alle Bonbons weg waren, löste sich die Menge auf. Der polnische Pfarrer feierte seine Messe vor leeren Kirchenbänken.
Später schämten sich die Dorfbewohner für ihr Verhalten. Wirklich wahr, als hätten wir nie im Leben Süßigkeiten gesehen, sagten sie. Lena hatte Mitleid mit ihnen. Onkel Kyssylyzja, der sich in der Bonbonschlacht die Hose zerrissen hatte, tat ihr leid, genau wie Shenja Prokopowytsch, die auf ihren eigenen Enkel draufgestiegen war und ihm einen Finger gebrochen hatte. »Ein armes Volk ist zum Fürchten«, stellte Shenja völlig bestürzt fest, »habe ich diese Bonbons wirklich gebraucht? Aber alle sind hin, und ich bin halt mitgerannt, wie eine Herdenkuh. Was, wenn jemand dabei umgekommen wäre?«
Lena hatte Mitleid mit Shenja. Sie war der lebende Beweis dafür, dass die Bibel wirklich recht behalten kann. »Wenn man dich auf die rechte Wange schlägt, so halte auch die linke hin«, heißt es da, und Shenja wurde tatsächlich von jedem geschlagen. Sie selbst brachte allen aber nur Liebe entgegen. Geschlagen wurde sie von ihrem Sohn Mykola und von ihren Enkelkindern, und Lena war sich sicher,
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