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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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dass auch ihre Urenkel sie eines Tages schlagen würden, jetzt waren sie noch zu klein dafür, sie reichten nicht an Shenjas Gesicht heran. Shenja sah aus wie ein Gerippe, und zwar eines, das verformt und völlig unverhältnismäßig proportioniert ist. Sie hatte einen schiefen Rücken mit Buckel, einen viel zu großen Kiefer und eine viel zu kleine Nase, ihre Arme waren zu lang, die Beine viel zu kurz und die Knie falsch herum gebogen. Ihr Kleid aus dünnem Baumwollstoff brachte ihre schwächliche Statur perfekt zur Geltung.
    »Bei ihrem Anblick wollte man weinen«, schrieb Lena später in ihr Tagebuch. »Man wollte sie in den Arm nehmen und erdrücken, um sie von ihrem Leid zu erlösen.«
    Den lieben langen Tag lungerte Shenjas Sohn Mykola – ein grobes, grausames, zurückgebliebenes, rüpelhaftes Etwas – auf dem Bett herum und nuckelte an seiner Wodkaflasche. Seine Mutter fütterte ihn mit gefüllten Teigtaschen, und er bewarf sie damit. Er übergoss sie gerne auch ab und zu mit frisch gekochtem Borschtsch, zerschmetterte leer getrunkene Wodkaflaschen an ihrem Kopf und ließ sie ins Geschäft rennen, um eine neue Flasche für ihn zu holen. Und Shenja tat es. Im Winter warf er sie im Nachthemd aus dem Haus und band sie manchmal am Brunnen fest, damit sie nicht zu den Nachbarn gehen konnte, um sich zu beschweren. Aber sie beschwerte sich gar nicht.
    Sie war ständig grün und blau geschlagen, im Gesicht geschwollen, und wenn sie jemand danach fragte, dann antwortete sie:
    »Ist halb so schlimm. Bin hingefallen.«
    »Bin ausgerutscht.«
    »Bin über die Türschwelle gestolpert.«
    »Der Luftzug hat die Tür zugeschlagen und die ist mir ins Gesicht geknallt.«
    »Ich habe Holz gehackt und da ist mir das Scheit ins Gesicht gesprungen.«
    »Die Fahrradbremse hat nicht funktioniert.«
    »Keine Ahnung. Ist über Nacht angeschwollen. Vielleicht hat sich ein Zahn entzündet.«
    Ein Jahr verbrachte Mykolzja, wie Shenja ihren Sohn verniedlichend nannte, im Gefängnis. Bei einer neuerlichen Sauf- und Prügelaktion hatte Shenja in der Nacht so laut geschrien, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Sie teilten sich die Bestechungskosten, damit Mykolzja möglichst lange eingesperrt würde. Die Polizisten leisteten ganze Arbeit für das Geld. Ein Jahr lang war Mykolzja von der Bildfläche verschwunden. Shenja wurde allerdings nicht glücklicher. Ihre Beinahe-Enkelin, die liebe Olja, zog bei ihr ein. Es würde zu lange dauern, zu erklären, warum sie keine richtige Enkelin war, doch, wie Lena es formulierte: Falls Sie eines Tages beschließen sollten, bei Shenja einzuziehen, würde die nicht Nein sagen.
    Shenjas Enkelin drangsalierte sie auf ihre eigene Art und Weise. Sie nahm ihr ihr ganzes Geld weg und gab ihr nichts zu essen. Ein Jahr lang hungerte Shenja und ernährte sich von dem, was ihre Nachbarn dann und wann für sie erübrigen konnten. Und selbst davon legte sie immer etwas in eine Tasche, um es Mykolzja einmal die Woche ins Gefängnis zu bringen.
    Nach einem Jahr kam Mykolzja zurück und sorgte schnell wieder für Zucht und Ordnung. Er warf die liebe Olja aus Shenjas Haus und bald war alles beim Alten: Randale im Vollrausch, das nächtliche Geschrei und Shenjas angeschwollenes Gesicht.
    »Was sind das nur für Kinder?«, fragten die Nachbarn resigniert.
    »Kinder halt«, entgegnete Shenja mit einem Lächeln. »Kinder sind überall gleich.«
    »Meine prügeln mich aber nicht windelweich.«
    »Meine mich auch nicht.«
    »Und warum bist du dann so verschwollen?«
    »Zahnentzündung.«
    Shenjas Geschichte endete so biblisch, wie sie begonnen hatte. »Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.« Mykolzja hatte beschlossen, seine Mutter umzubringen.
    Da er nicht wieder hinter Gitter wandern wollte, heckte er einen raffinierten Plan aus: Er würde Shenja mit Kohlenmonoxid vergiften. Bei uns in der Gegend sterben so viele daran, dass kein Mensch Verdacht schöpfen wird, dachte er wahrscheinlich. Alte Öfen sind das perfekte Mordwerkzeug. Im Nachbarort hat sich zum Beispiel gerade ein junges Pärchen vergiftet, gleich am Tag nach ihrer Hochzeit. Und in einem anderen Dorf ist eine ganze Familie nicht mehr aufgewacht.
    Kohlenmonoxidvergiftungen stellten damals neben Motorradunfällen die häufigste Todesursache dar, würde Lena später notieren.
    Als seine Mutter eines Abends nach Hause kam, schickte Mykolzja sie ins Bett. Er fuhrwerkte an Schornstein und Ofen herum. Mykolzja wusste, wie man es anstellt, dass das Gas

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