Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Mutationen einfach in das Erbgut der Hochleistungssorten einbauen. Das war auch schon mit den alten Werkzeugen der Gentechnik möglich, jedoch weniger präzise, und an die Erbgutmanipulation im Labor schloss sich jahrelange klassische Züchterei an, um die neue Eigenschaft auch in die marktgängigen Sorten einzukreuzen. Talene könnten auch in der Gentherapie zum Einsatz kommen, überall wo Gene zwischen Organismen ausgetauscht werden sollen oder eine Reparatur von Erbinformation ansteht.
Talene sind aufregend, weil sie leicht herzustellen und kaum durch Patente geschützt sind, sodass sie im Prinzip frei zugänglich sind, auch für Biohacker. Man kann mithilfe der Talene wahrscheinlich nahezu alle Restriktionsenzyme – die molekularen DNA-Scheren – nachahmen, selbst wenn sie durch Patente geschützt sein sollten. „Derzeit ist es nicht legal, Restriktionsenzyme zu produzieren und zu verkaufen, weil die Patentinhaber ihren Anteil am Gewinn haben wollen, bis das Patent ausläuft“, so rufen wir uns Garveys Worte ins Gedächtnis, „aber ein neues Hybridprotein, das die gleiche DNA-Sequenz schneidet, ist OK!“
Garvey kann es kaum erwarten, Biohacking bald mit Talenen betreiben zu können. Noch ist diese molekulare Chirurgie allerdings nicht einmal Routine in vielen Top-Labors von Profibiologen. Doch viel spricht dafür, dass die Methode sich weit verbreiten und bald auch günstig anzuwenden sein wird. Damit würde sie dann auch in die Reichweite der Biohacker gelangen.
An diesem Abend, nach dem zweiten, dritten Bier, ist der deutsch-amerikanischen Biohackergruppe nichts mehr zu visionär. Nicht einmal die Automatisierung der Veränderung von Pflanzen oder Bakterien oder anderen Lebensformen. Wir sehen uns, wie wir in ein paar Jahren an einem Computer sitzen und BioBricks oder andere standardisierte DNA-Stücke auswählen, virtuell zusammenstecken und große Teile der „nassen“ (und, da stimmen wir Garvey zu, nervtötenden) Laborarbeit von Apparaten erledigt werden. Es wäre eine Welt, in der DNA-Stücke von druckerähnlichen Geräten synthetisiert werden, die auf jedem Schreibtisch Platz fänden. Von wieder anderen Robotern würden sie dann in Bakterien oder Hefezellen gespritzt, um diese mit den nötigen Gen-Kombinationen für die gewünschten Fähigkeiten zu versehen.
Diese „Automatisierung von Biodesign“ ist nicht nur bierselige Amateur-Phantasie: Die Firma BBN Technologies entwickelt tatsächlich in einem Kooperationsprojekt mit den Labors von Ron Weiss am MIT und Traci Haddock an der Boston University eine Computersprache, Proto genannt. Sie soll genau das tun, worüber wir gerade spekuliert haben: Synthetische Biologie automatisieren, sie zu einer Fließband-Technologie machen. Tool-Chain to Accelerate Synthetic Biological Engineering (TASBE) heißt das Projekt deshalb. 69
Vielleicht stehen irgendwann – in 20, oder 30, oder 50 Jahren – wirklich Apparate in vielen Haushalten, die auf Knopfdruck neue Organismen produzieren, welche man selbst oder ein Dienstleister zuvor am Computer entworfen hat. Oder wir werden einfach, wie in Garveys Vision, das neueste genetische Update herunterladen, um unsere Petersilie auf dem Küchenfenstersims vor Falschem Mehltau zu schützen. Völlig neue Kombinationen von Erbgut-Teilen wären möglich, genetische Chimären aus zwei, drei oder zwanzig unterschiedlichen Arten. Ob das dann erlaubt und sicher sein wird oder nicht, darüber sollten möglichst nicht Konzerne oder Lobbygruppen der Industrie einerseits oder fundamentalistische Umweltgruppen andererseits entscheiden. Sondern möglichst aufgeklärte Bürger und deren parlamentarische Repräsentanten, beraten von möglichst unabhängigen Profi- und auch Amateur-Wissenschaftlern.
Die Entwicklung der Technologie selbst ist jedenfalls nicht aufzuhalten. Seit dem Jahr 2000, als das menschliche Erbgut nach etwa 13 Jahren entziffert wurde, ist das Lesen von Erbgutinformationen stetig schneller und billiger geworden, sodass heute eine Vollsequenzierung der 3,3 Milliarden DNA-Bausteine des menschlichen Erbguts in Minuten möglich ist. 70 2005 hat das Forschungsteam des Japaners Mitsuhiro Itaya das Erbgut einer photosynthesefähigen Blaualge noch mühsam per „Megaklonierung“ mit dem Bakteriengenom von Bacillus subtilis vermischen müssen, um eine neue Art zu schaffen, einen „Cyanobacillus“, der Eigenschaften beider Organismen trug. 71 Nur fünf Jahre später, 2010, hat Craig Venter, Popstar
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