Biohacking - Gentechnik aus der Garage
der Genomforschung und inzwischen in der Mission der Schaffung synthetischen Lebens unterwegs, Stücke des Erbguts des Bakteriums Mycoplasma genitalium am Computer nach Wunsch verändern, neu synthetisieren und in eine erbgutfreie Mycoplasma-Zellhülle einsetzen lassen. Tatsächlich entstand ein lebensfähiger Organismus (siehe Kapitel 3). Was erwartet uns, angesichts der galoppierenden Entwicklung der Biotechniken, im Jahre 2015 oder 2030? Und welche dieser Techniken werden über kurz oder lang auch Biohackern zugänglich sein?
Trojok, Thalheim, Littrell und viele andere Biohacker werden in den nächsten Jahren noch viel damit beschäftigt sein, die nötigen Geräte und Techniken in den Gemeinschafts- und Garagenlabors zu etablieren. Sie werden vielleicht sogar ordentliche Sicherheitslabors anmelden, das zumindest ist ein mittelfristiges Ziel von Thalheim und Trojok. Doch die Kosten und der bürokratische Aufwand sind immens, sagt Trojok und nennt diese Hürden „ein ernstes Problem“.
Nach allem, was wir inzwischen von Rüdiger gehört haben, wäre er der Letzte in der DIY-Bio-Bewegung, der die geforderten Sicherheitsauflagen nicht einhalten wollte. Das „ernste Problem“, das er heraufziehen sieht, ist vielmehr eine unheilvolle Kombination von hohen bürokratischen Hürden und sinkendem technischen und finanziellen Aufwand für Heimlabors. Die für gentechnische Arbeiten nötigen Werkzeuge und Zutaten seien inzwischen für jedermann ziemlich billig zu haben, und es könne sein, „dass manch einer die Sicherheitsauflagen scheut und das einfach zu Hause macht, weil es inzwischen technisch machbar ist“.
Für Trojok bedeutet das: Entweder werden bestimmte Experimente, die in den letzten dreißig Jahren Genforschung ihre Sicherheit bewiesen haben, vom Gentechnikgesetz freigegeben. Oder es müssen öffentliche, mit allen Sicherheitsstandards ausgestattete, von Profi-Forschern betreute und zugelassene Gemeinschaftslabors eingerichtet werden, in denen Biohacker ohne Überwachung und Gängelung basteln können – sodass sie gar nicht erst in die Versuchung kommen, ein eigenes Labor im Keller aufzubauen. So würden sich auch Unfälle und deren Folgen kontrollieren lassen, wie sie trotz Vorsicht nun mal in jedem Labor passieren könnten.
Inzwischen ist es selbst für Berliner Nächte schon sehr spät, und wir fahren nach Hause. Romie macht sich am nächsten Tag nach Amsterdam auf, um dort die Biohacker um Pieter van Boheemen zu treffen und bei den europäischen Vorentscheidungen für den iGEM-Wettbewerb dabei zu sein. Rüdiger fährt zunächst in die Schweiz zu einem „Hacksprint“ mit Biohackern aus dem Hackteria-Netzwerk, dann zu einem Symposium zur Ethik der Synthetischen Biologie nach Freiburg und schließlich zurück nach Kopenhagen, um an seiner Gene-Gun und seinem Bericht für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Bundestages weiterzubasteln.
Und wir räumen im Büro die Laborregale, verpacken unsere Reagenzien, Pipetten, Zentrifuge und das PCR-Gerät in zwei Umzugskartons. Die improvisierte Laborbank wird nun wieder zum Schreibtisch. Der muss jetzt frei sein, denn wir wollen endlich aufschreiben, was wir in den letzten zwei Jahren über Biohacking und Biohacker, Open Science und Spaß und Risiken der Amateur-Gentechnik gelernt und erfahren haben.
Und wir wollen auch zu Papier bringen, wie wir genau an diesem Ort selbst amateurhaft, aber ernsthaft und standhaft, unsere DIY-Bio betrieben haben. Wir wissen, dass es nur eine Momentaufnahme sein wird, ein Schnappschuss einer sich täglich verändernden Bewegung. Doch wir sind sicher, dass diese Bewegung, wenn sie sich in den richtigen Rahmenbedingungen entfalten darf, viel verändern kann und wird.
Kapitel 10 ...
... in dem wir über die Zukunft nachdenken, uns ein aufgeklärtes, aktives, sozial verantwortliches, mitbestimmendes Biobürgertum und eine freie Biologie für alle wünschen und auch eine Politik, die verantwortlich, liberal und flexibel Regelungen findet, in dem wir mehr Chancen als Risiken sehen und der Gefahr des Bioterrorismus mit Vernunft und der Kraft und Kompetenz der gar nicht terroristischen, intelligenten Menge gegenübertreten wollen ...
BIO-BÜRGER, BIO-TERROR, BIO-ZUKUNFT
Sarah, eine Freundin von Richard, postete im Sommer 2012 auf Facebook Folgendes: „Nicolas hat mich grad gefragt, wo er flüssigen Stickstoff kaufen kann. Sollte ich mir Sorgen machen?“ Nicolas ist Sarahs Sohn, er war gerade erst sieben
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