Biohacking - Gentechnik aus der Garage
können größere Homocysteinmengen die Blutgefäße angreifen und so nicht nur dem Herz-Kreislauf-System schaden, sondern auch zur Entwicklung der Makula-Degeneration führen. Die ersten beiden Tipps befolgt McCauley, der stets mit Sonnenbrille unterwegs ist, ohnehin schon. Beim Thema Vitamin B allerdings hatten seine Recherchen im Netz ihn sehr verunsichert. Er wusste nicht, ob das Vitamin-B-Präparat, das er gewissenhaft einnahm, bei ihm tatsächlich wirkte.
Je nach Genprofil geht der Körper unterschiedlich mit Vitamin B12 um. Damit es das Homocystein entschärft, muss es in seiner aktiven Form zu den Körperzellen – hier speziell denen des Auges – gelangen. Inaktiv bedeutet wirkungslos. Auch das klingt banal. Aber jemand, der Vitamin B braucht und es dafür sogar einwirft, der aber nicht weiß, ob es nicht vielleicht ohne je eine Wirkung zu entfalten wieder über den Urin ausgeschieden wird, wird anderer Meinung sein.
Es ist natürlich ein Enzym dafür zuständig, das Vitamin scharf zu machen. Aber dieses Enzym scheint Mutationen nur so anzuziehen. Über 40 verschiedene sind bekannt und weit verbreitet in der Bevölkerung. Manche verweigern bei der Aktivierung von Vitamin B12 schlicht den Dienst. McCauley wollte also wissen, welches Präparat bei ihm wirkt – ob das billige, normale Vitamin für ihn ausreicht oder er die teure, schon aktivierte Form kaufen muss.
Er beschloss, in der großen, jahrhundertealten Tradition des medizinischen Selbstversuchs, sein eigenes Versuchskaninchen zu werden, ein „Health Hacker“. Melanie Swan war, als ihr Ray in Schloendorns legendärem Garagenlaborhaus von seinen Plänen erzählte, sofort Feuer und Flamme für diese Idee. Mithilfe der im Internet einsehbaren medizinischen Fachliteratur und ihren Gesundheits- und Erbgut-Daten stellen Swan, McCauley und weitere gleichgesinnte Bürgerforscher inzwischen Studien auf die Beine. In einer der ersten wollten sie klären, welche Wirkung welches Vitamin-B-Präparat bei welcher genetischen Konstitution entfaltet. Was sie insgesamt vorhaben ist personalisierte, crowdgesourcte DIY-Medizin.
Verschreibungspflichtige Medikamente oder gar neue Wirkstoffe können und dürfen die Health Hacker nicht verwenden. Das würde unter die Regularien für klinische Studien der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA fallen. Aber frei käufliche Heilmittel, Nahrungsergänzungsstoffe und Vitamin-Präparate können sie in ihren Studien einsetzen. „Wir ermöglichen den Leuten, nicht nur passiv einen Blick auf ihr Genprofil zu werfen, sondern aktiv selbst herauszufinden, was das für sie bedeutet, anstatt darauf zu warten, dass irgendwann ein Forscher eine Studie macht, die etwas über ihre Situation zu Tage fördert“, sagt Swan.
Das Duo und die kleine, aber stetig wachsende Gemeinde der Gesundheitshacker könnten durchaus den Anfang einer Massenbewegung bilden. „Um die Funktion der Geninformationen zu verstehen, müssen Hunderttausende, Millionen von Leuten nicht nur ihre Gendaten zur Verfügung stellen, sondern auch mit Details über ihre medizinischen Gesundheitsdaten, ihren Lebensstil und ihre Familiengeschichte verknüpfen“, sagt McCauley. „Crowdsourcing-Genetik, das ist ...“, er sucht drei Sekunden nach dem richtigen Wort, „das ist eine Berufung! Und vielleicht das Wichtigste, was wir am Anfang dieses Jahrhunderts tun können.“ Die Orte, an denen die Gesundheitsdatenbanken der Zukunft entstehen, liegen im Internet und heißen vielleicht DIYgenomics.org und Genomera.com. Sie werden vonSwan und McCauley betrieben. Melanie Swan nennt es ihr „Facebook of Health“. 39
Schon die erste Studie der Health Hacker, zugeschnitten auf McCauleys Vitamin-B-Frage, lieferte interessante Hinweise. Insgesamt sieben Probanden, unter ihnen die zwei Initiatoren selbst und McCauleys Lebensgefährtin, Biocurious-Mitgründerin Kristina Hathaway, sowie vier weitere Freunde, schluckten zunächst eine Woche lang gar keine Vitamin-B-Präparate, um einen Basiswert für ihren jeweiligen Vitamin-B- und Homocystein-Level im Blut messen zu können. Dann nahm jeder Teilnehmer eine Woche lang ein Vitamin-B-Präparat, in der folgenden ein anderes.
Jeweils am Ende jeder Woche ließen sich alle Teilnehmer auf eigene Kosten von Mitarbeitern eines normalen Medizin-Dienstleistungslabors Blut abnehmen, das die Proben dann auch analysierte. „Obwohl wir alle gesund sind, lag unser Ausgangswert für Vitamin B bereits unterhalb der empfohlenen
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