Biohacking - Gentechnik aus der Garage
2012 in London gezeigt.
Das Wissen über die eigenen Gene kann sicher weitreichende, heute noch gar nicht absehbare Folgen haben. Andererseits können Geninformationen auch bei Lebensentscheidungen helfen. Im Fall von ACTN3 und anderen Sportgenen könnte ein Testergebnis bei der Entscheidung junger Leistungssportler helfen, auf welche Disziplin sie sich konzentrieren wollen – und damit vielleicht viel Frust vorbeugen. Im Fall von Genvarianten, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen oder reduzieren, eine bestimmte Krankheit zu entwickeln, könnten die Geninformationen auch zu Verhaltensänderungen beitragen. Oder sogar den Forschergeist wecken. Melanie Swan und Raymund McCauley ist das passiert.
Swan ist Hedgefonds-Managerin, die unter anderem für J. P. Morgan in New York gearbeitet hat, Unternehmen wie AT & T und Siemens berät und in zahlreichen Aufsichtsräten sitzt. Doch Bilanzen begeistern Swan, die sich selbst als „Futuristin“ bezeichnet, schon lange nicht mehr besonders. Zwar hat sie keine naturwissenschaftliche Ausbildung, sondern einen MBA in Finanz- und Rechnungswesen, doch nach diversen Kursen bezeichnet sie sich inzwischen außerdem noch als „Expertin für Angewandte Genomik“.
Wir treffen Swan auf einer unserer DIY-Bio-Bildungsreisen in die USA im Hafen von San Francisco. Hinter uns die Silhouette der Stadt auf den Hügeln, vor uns die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz und über uns die Sonne Kaliforniens. In San Francisco ist es eigentlich oft neblig, aber Melanie ist eine Erscheinung, die vor grauem Hintergrund kaum vorstellbar ist. Das ganze Wesen der rotblonden Selfmade-Genetikerin ist sonnig und energiegeladen. Vielleicht hat sie morgens ja den Nebel weggeblasen.
„Ich war eine der ersten Kundinnen von 23andMe“, sagt die 44-Jährige stolz. Ende 2007 begann dieses Unternehmen aus Mountain View, für Kunden Gene zu analysieren. Zum Preis von 999 Dollar las das Startup damals rund 500 000 Variationen aus der DNA seiner zahlungswilligen Kundschaft, die neben einem Scheck auch ein Röhrchen Spucke einschicken musste. Innerhalb von fünf Jahren fiel der Preis auf gerade mal 99 Dollar. Im Service inklusive ist der passwortgeschützte Zugang zu einer Website, auf der Kunden ihre Genomdaten nach Krankheitsgenen und sonstigen Merkmalen durchsuchen können.
Sascha nickt wissend. Auch er hatte 2008 sein Erbgut an 23andMe geschickt, und gleichzeitig auch an DecodeMe, eine isländische Konkurrenz-Firma, um über diese Art der Selbstdurchleuchtung eine Reportage zu schreiben. Er hatte dafür auch die Chefin des nach den 23 menschlichen Chromosomen benannten jungen Unternehmens in dessen Zentrale in Mountain View besucht: „Den Menschen Zugang zu ihren Genen zu verschaffen“ – so hatte die Biologin Anne Wojcicki, nebenbei auch Ehefrau des Google-Gründers und 23andMe-Investors Sergey Brin, damals kurz und knapp das Ziel der von ihr geleiteten Firma umrissen. „Access“, also „Zugang“ ist das Schlagwort, das zahlreiche Initiativen vereint – von der Gemeinde der Computerhacker über die Linux-Community und Internet-Tauschbörsen bis hin zur Bewegung, die wissenschaftliche Veröffentlichungen zunehmend kostenfrei über das Web zugänglich macht. Im Fall des Genoms bekommt diese Diskussion über „Zugang“ eine neue Dimension. Denn sie wird erstmals nicht mehr von Personen oder Gruppen geführt, die ihre Forderung nach Zugang an andere richten. Sie wendet sich vielmehr dem Individuum, dem Selbst zu. Es ist ein qualitativer Unterschied: Während andere Gründe haben mögen, Zugang zu dem, was sie als ihr materielles oder geistiges Eigentum sehen, zu verweigern, ist es schwer zu begründen, jemandem den Zugang zu seinem molekularen Ich zu verstellen. Das mag banal klingen, ist es aber, seit unter bestimmten Bedingungen auch menschliche Gene patentiert werden können, nicht.
23andMe ging damals wie heute mit einer Botschaft vom Spaß an den eigenen Erbanlagen an die Öffentlichkeit. Medizinische Schicksals-Orakelei schwang nur unterschwellig mit, obwohl sie sicher ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells der Firma war und ist. Doch geworben wurde schlicht mit Genetik für jedermann, optimistisch und demokratisch. Mit Zeppelinen über der Stadt köderte die Firma anfangs ebenso Kunden wie mit dem „I spit!“-Slogan. Manche Kunden hefteten sich den Spruch sogar als Plakette an die Brust, stolz, weil sie sich als Pioniere fühlten, als Erste einer Generation von Menschen, für die der
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