Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Gang zum Genetiker bald so selbstverständlich sein würde wie der Besuch beim Zahnarzt. Das aggressive Marketing war so erfolgreich, dass Wojcicki kurz nach der Eröffnung mit den Genom-Analysen kaum hinterherkam.
Swan erinnert sich, wie aufgeregt sie war, als sie das erste Mal ihre eigenen Gene ausbuchstabiert vor sich sah, „all die As, Cs, Gs und Ts zu sehen, die mich zu dem machen, was ich bin“. Sascha kennt diesen Schauer, der sich von hinten den Rücken hoch schleicht, bis er die Nackenhaare erreicht, aus eigener Erfahrung. Aber inzwischen ist er skeptisch, ob das Gen-Orakel wirklich relevante Informationen für jedermann liefert. Er musste etwa feststellen, dass sich die Angaben von 23andMe und DecodeMe zum Risiko, bestimmte Krankheiten zu entwickeln, mitunter deutlich widersprachen. Dabei hatten beide Unternehmen zweifelsfrei dasselbe Erbgut von ihm zur Analyse bekommen. Auch schaffte es weder das eine noch das andereUnternehmen, seine Haarfarbe korrekt aus den Genen zu lesen. Stattdessen prophezeiten sie ihm einen kahlen Kopf in jungen Jahren. Man kann Sascha eine Menge nachsagen, eine Glatze allerdings hat er, bis heute, nun wirklich nicht.
Für solche Schwächen entschuldigen sich Webunternehmen üblicherweise mit einem kleinen „beta“ hinter dem Namen, um zu signalisieren, dass man eine digitale Baustelle betritt. Auf den Websites von 23andMe steht stattdessen sehr oft das Wörtchen „vorläufig“. Ein nicht abreißender Strom von neuen genetischen Untersuchungen wirft den Wissenstand der Genetiker regelmäßig über den Haufen. Es gibt sehr wenige eindeutige Zusammenhänge zwischen genetischen Varianten und Krankheitsrisiken.
Wer etwas anderes behauptet, dem gebührt eine gute Prise Skepsis. Denn schon die nächste Studie könnte das bisher Angenommene wieder obsolet machen, indem sie neue Einflussfaktoren beschreibt oder postuliert, dass ein verdächtiges Gen doch gar keine Rolle spielt bei der Entstehung dieser oder jener Krankheit. Noch können Gencheck-Kunden gleichgültig welcher Unternehmen wenig damit anfangen, dass die eine oder andere ihrer Genvarianten ihr Risiko für eine Krankheit wie Altersdiabetes angeblich erhöht. Solange nicht der Einfluss der vielen anderen Genvariationen bekannt ist, die noch nicht näher untersucht worden sind, ist die Information bei den allermeisten Erbanlagen nahezu sinnfrei. Ausnahmen sind bestimmte, die Wahrscheinlichkeit von Brustkrebs erhöhende Genvarianten sowie eine Genmutation, die die Huntington-Krankheit auslöst, oder auch jenes Hämochromatose-Gen, nach dem Kay Aull einst in ihrer Studentenbude suchte. Mit Ausnahme von mit Brustkrebsrisiko assoziierten Genen lässt aber etwa 23andMe weitgehend seine Hände von solchen problematischen Erbgutabschnitten.
Wer diese Firmen also in seiner DNA lesen lässt, schließt höchstens eine Wette auf die Zukunft ab, in der Genforscher vielleicht bessere Vorhersagen als heute machen und vielleicht sogar Prävention und Therapie anbieten können.
Auch Melanie Swan war trotz aller Begeisterung zunächst enttäuscht, dass sie mit ihren Gendaten nicht mehr anfangen konnte. Sie stellte sich die Frage, wie sie ihr provisorisches Genprofil nutzen könnte, um zum Beispiel bessere Ernährungsentscheidungen zu treffen. Es könnte ja sein, dass einige Lebensmittel oder auch Vitaminpräparate besser zu ihrem Genotyp passen als andere.
Mit diesen Fragen im Kopf ging sie 2009 zu einem Biohackertreffen im Garagenlabor des seinerzeit Krebsforschung treibenden John Schloendorn und traf dort auf den 46-jährigen Raymund McCauley. Der war Biohacker, Bioinformatiker und Genetik-Nerd. Auch Ray hatte den 23andMe-Test gemacht. Aber er hatte dabei etwas Unangenehmes entdeckt. Die Auswertung seiner Gene verriet ihm, dass sein Risiko, im Alter eine Augenkrankheit namens Makula-Degeneration zu entwickeln und daran zu erblinden, nach derzeitigem Wissensstand viermal höher ist als im Durchschnitt der Bevölkerung. Die bekannten Therapien waren und sind meist höchstens in der Lage, im Idealfall das Fortschreiten der Krankheit mehr oder weniger aufzuhalten, Heilung gab und gibt es nicht.
Beunruhigt machte sich McCauley auf die Suche nach Präventionsmöglichkeiten: Nicht rauchen, die Augen vor UV-Licht schützen, Vitamin-B12 einwerfen 38 – sehr viel mehr konnten Ärzte ihm nicht raten. Der Körper braucht das B-Vitamin, um das biochemische Abfallprodukt Homocystein in einen harmlosen Stoff zu verwandeln. Geschieht dies nicht,
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