Biohacking - Gentechnik aus der Garage
abgleichen. Mit gemischten Gefühlen tippen wir die Sequenz des Rizin-Primers in das digitale Bestellformular eines Syntheselabors ein: GAATG ... Wird man uns erwischen? ... CTAAT ... Machen wir uns schon mit der Bestellung solcher potenziell gefährlicher Genstücke verdächtig? ... GTATTT ... Wird die Firma uns den Behörden melden?
Schon am nächsten Tag klingelt es an der Tür. Es ist nicht die Polizei. Ohne weitere Fragen überreicht uns ein Bote einen Brief, in demzwei kleine Röhrchen mit den gewünschten Primern stecken. Die Firma hatte uns, als wir zum ersten Mal etwas bei ihr orderten, angerufen. Wir hatten damals die Primer für das Sushi-Experiment bestellt und der freundlichen Dame erklärt, was wir mit ihnen vorhatten. Und sie hatte uns daraufhin offensichtlich in den „Vertrauenswürdig“-Bereich ihrer Datenbank geschoben (siehe Kapitel 4). Die nächste Lieferung an uns – die mit den Rizin-Primern – ging dann ohne weitere Fragen an unsere Büroadresse.
Als Bürgerforscher sind wir begeistert. Als Bürger sind wir erschrocken. Wir sind erschrocken, wie einfach es funktioniert hat. Bis hierher zumindest. Was folgt, ist die Laborarbeit, und wir wissen inzwischen: Die ist hart. Und wir brauchen tatsächlich wieder ein paar Tage und viele vergebliche Versuche, um Erbgut von Ricinus communis aus einem Blatt zu gewinnen. Als es endlich geklappt hat, setzen wir fast schon routiniert die PCR-Reaktion an, mit der wir das gesuchte Gen herauskopieren wollen.
So leicht uns diese Arbeit inzwischen auch von der Hand geht, die Stimmung ist angespannt. Jetzt geht es nicht mehr nur um Spaß am Basteln. Wir sind auf einen Pfad eingebogen, den wir nicht zu Ende gehen werden, aber dessen Gangbarkeit wir testen wollen.
Die PCR funktioniert auch nicht beim ersten Versuch, aber nach ein paar Anläufen sehen wir das orangefarbene Schimmern im Agarose-Gel, das uns verrät, dass der molekulare Kopiervorgang geklappt hat. Jetzt halten wir den wichtigsten Baustein in Händen, um etwas Gefährliches zu basteln.
Das Schema, nach dem sich Bakterien gentechnisch verändern lassen, ist im Grunde immer das gleiche: Wenn man solche Mikroorganismen zum Beispiel zum Leuchten bringen will, muss man ihnen nur ein Leuchtgen einpflanzen und sie mit den richtigen Zutaten füttern, schon fangen sie an, Licht auszusenden. Dafür braucht man das Gen und etwas Bio-Zubehör, an das man ebenfalls ohne größere Probleme herankommt: Bakterien, in deren Erbmaterial man das Gen einbauen könnte und die dann anhand der Geninformation das Leucht-Enzym herstellen würden, und Gen-Fähren, um den Bakterien das Gen einzubauen. Beides lagert zwar noch nicht in unserem Kühlschrank. Aber wir haben auch dafür Quellen gefunden, sogar mehrere. Auch befreundete Biohacker aus dem europäischen Ausland könnten uns damit ausstatten, wenn wir sie darum bitten würden. Wir haben sogar einen Händler ausfindig gemacht, der an uns geliefert hätte.
Will man Mikroben nun beibringen, Rizin zu produzieren, dann würde das im Prinzip genau so funktionieren. Nur wäre die Substanz, die dabei herauskäme, zunächst gar kein wirksames Gift. Denn in den Samen des Wunderbaums muss Rizin erst ein paar biochemische Reaktionen durchlaufen, bevor es sein tödliches Potenzial entfalten kann. Ohne diese Modifikationen ist es ungefährlich. Bakterien können diese biochemischen Reaktionen normalerweise nicht ablaufen lassen und das Gift so scharf machen, wie es die Pflanze vermag. An die genetische Bauanleitung für eines der tödlichsten Gifte der Welt kommt man also mit unseren Mitteln und ein bisschen Geduld zwar heran. Damit auch ein wirksames Gift zu produzieren, ist jedoch viel aufwändiger. Es ist so aufwändig, dass kein noch so böser Mensch sich wahrscheinlich die Mühe machen würde, es biotechnisch herzustellen – denn man kann es viel einfacher aus den Samen des Wunderbaums gewinnen.
Unmöglich wäre die biotechnische Herstellung wirksamen Rizins indes nicht. Unserem Wissen nach aber gab es bislang keinen einzigen Fall, in dem biotechnisch hergestelltes Rizin für einen Anschlag verwendet wurde. Das kann uns nur recht sein und dürfte sich aus den genannten Gründen auch in absehbarer Zukunft nicht ändern.
Nichtsdestotrotz ist Rizin ein gutes Beispiel dafür, was man mit einem Giftgen anstellen könnte (Details siehe Fußnote). 49 Denn das in den letzten fünfzig Jahren gesammelte und in Datenbanken einsehbare molekularbiologische Wissen bietet
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