Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
sich jetzt plötzlich, weiter mit der Entwicklung Schritt zu halten. Unsere natürliche Umgebung besteht aus Rostwelke. Cibiskose. Genmanipulierten Rüsselkäfern. Cheshire. Die haben sich angepasst. Was für eine Rolle spielt es, ob sich das alles auf natürlichem Wege entwickelt hat oder nicht? Tatsache ist doch, dass sich unsere Umwelt verändert hat. Wenn wir weiterhin an der Spitze der Nahrungskette stehen wollen, werden auch wir uns dementsprechend verändern müssen. Oder wir tun es nicht, und dann gehen wir eben den Weg der Dinosaurier und der Felis domesticus. Anpassung oder Ausrottung. So lautete schon immer das oberste Gesetz der Natur, und trotzdem stellt ihr Weißhemden euch dem unvermeidlichen Wandel in den Weg.« Er beugt sich vor. »Manchmal möchte ich Sie am liebsten schütteln. Wenn Sie mir nur freie Hand lassen würden, könnte ich Ihr Gott werden und ein neues Eden erschaffen. «
»Ich bin Buddhistin.«
»Und wir alle wissen, dass Aufziehmenschen seelenlose Wesen sind.« Gibbons verzieht den Mund zu einem Lächeln. »Sie werden nicht wiedergeboren. Also werden sie sich eigene Götter suchen müssen, die sie beschützen. Die sie um Beistand für ihre Toten bitten können.« Sein Grinsen wird noch breiter. »Vielleicht werde ich diese Lücke füllen, und Ihre Aufziehkinder werden auf der Suche nach Erlösung zu mir beten.« In seinen Augen blitzt der Schalk auf. »Ich hätte zur Abwechslung nichts gegen ein paar Anhänger mehr einzuwenden, das muss ich zugeben. Jaidee war wie Sie. Ein Skeptiker. Nicht ganz so schlimm wie die Grahamiten, aber auch nicht gerade das, was sich ein Gott wünscht.«
Kanya zieht eine Grimasse. »Wenn Sie sterben, werden wir
Sie einäschern und in Chlorlauge auflösen. Niemand wird sich an Sie erinnern.«
Unbeeindruckt zuckt der Doktor mit den Achseln. »Alle Götter werden Prüfungen unterzogen.« Dann lehnt er sich mit einem verschmitzten Lächeln im Rollstuhl zurück. »Sie würden mich also lieber jetzt gleich auf einem Scheiterhaufen verbrennen? Oder möchten Sie nicht vielleicht erst vor mir zu Kreuze kriechen und einmal mehr meiner Intelligenz huldigen?«
Kanya lässt sich ihren Ekel vor dem Mann nicht anmerken. Holt die Unterlagen hervor und reicht sie ihm. Er nimmt sie zwar an sich, aber dabei belässt er es. Die Akte bleibt ungeöffnet. Er würdigt sie keines Blickes.
»Ja?«
»Da steht alles drin«, sagt sie.
»Wo bleibt der Kniefall? Ihrem Vater gegenüber würden Sie sich ehrerbietiger verhalten, da bin ich mir sicher. Auch den Stadtsäulen gegenüber.«
»Mein Vater ist tot.«
»Und Bangkok wird untergehen. Das sollte Sie nicht daran hindern, mir auf angemessene Weise Respekt zu zollen.«
Kanya muss sich zusammennehmen, um ihn nicht mit dem Schlagstock niederzuknüppeln.
Über ihre offensichtliche Anspannung kann er nur lächeln. »Sollen wir also lieber erst noch ein bisschen plaudern?«, fragt er. »Jaidee war einem Schwätzchen niemals abgeneigt. Nein? An Ihrem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass Sie mich verachten. Kann es sein, dass Sie mich vielleicht für einen Mörder halten? Für einen Kindsmörder gar? Jemand, mit dem Sie keinesfalls das Brot brechen würden?«
»Sie sind ein Mörder.«
»Ihr höchsteigener sogar. Ein Werkzeug, das Ihnen zur Verfügung steht. Was macht das aus Ihnen?« Er betrachtet
sie amüsiert. Kanya kommt es vor, als würde der Mann sie mit den Augen aufschlitzen und jedes einzelne Organ hervorholen, um es zu inspizieren: Lunge, Magen, Leber, Herz …
»Ihnen wäre es am liebsten, ich wäre tot«, sagt er mit einem leisen Lächeln. Dann nehmen seine Augen einen leicht wahnsinnigen Ausdruck an, und das zerfurchte Gesicht verzieht sich zu einem breiten Grinsen. »Wenn Sie mich derart hassen, warum erschießen Sie mich dann nicht gleich hier auf der Stelle?« Als Kanya nicht reagiert, hebt er resigniert die Hände. »Zum Teufel nochmal, Sie sind alle so zurückhaltend! Kip ist die Einzige unter euch, mit der man etwas anfangen kann.« Sein Blick schweift zu dem schwimmenden Mädchen hinüber, und für einen Moment betrachtet er sie selbstvergessen. »Bringen Sie mich doch einfach um. Mir wäre es recht. Ich bin schließlich nur noch am Leben, weil Sie dafür sorgen.«
»Nicht mehr lange.«
Der Doktor sieht auf seine gelähmten Beine und lacht. »Nein. Nicht mehr lange. Und was werden Sie dann tun, sollten AgriGen und Konsorten einen weiteren Angriff starten? Falls Sporen aus Burma sich hierher verirren? Oder über
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