Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
zu. »Hauptmann Kanya wird Proben mitgebracht haben. Holt sie. Wir nehmen alles mit ins Labor.«
In diesem Moment kommt Kip herbei und legt dem Doktor die nassen Seiten in den Schoß. Auf ein Zeichen von ihm schiebt sie ihn auf den Eingang der Villa zu. Der Doktor bedeutet Kanya, ihm zu folgen.
»Kommen Sie schon. Es wird nicht lange dauern.«
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtet der Doktor einen der Objektträger. »Es überrascht mich, wie Sie darauf
kommen, dass es sich hierbei um eine unabhängige Mutation handeln könnte.«
»Es gibt nur drei Krankheitsfälle.«
Der Doktor blickt zu ihr auf. »Bis jetzt.« Ein kurzes Lächeln. »Das Leben folgt bestimmten Algorithmen. Aus zwei werden vier, dann zehntausend, dann eine Epidemie. Vielleicht ist es zu diesem Zeitpunkt bereits in der ganzen Bevölkerung verteilt, ohne dass wir davon wissen. Vielleicht sehen wir hier das Endstadium vor uns. Unheilbar, aber ohne Symptome, wie bei der armen Kip.«
Kanya schaut zu dem Ladyboy hinüber. Kip erwidert den Blick mit einem freundlichen Lächeln. Ihre Haut sieht normal aus. Ihr Körper ebenso. Sie leidet also nicht an derselben Krankheit wie der Doktor. Und doch … Kanya weicht unwillkürlich einen Schritt zurück.
Der Farang sieht sie belustigt an. »Kein Grund zur Aufregung. Sie leiden an derselben Krankheit. Naturgemäß ist das Leben selbst am Ende tödlich.« Er sieht wieder durch das Mikroskop.
»Da war kein Indie-Genhacker am Werk. Sondern irgendetwas anderes. Auch keine Rostwelke. Es gibt keine Anzeichen für eine Arbeit von AgriGen.« Plötzlich macht sich ein angewiderter Ausdruck auf seinem Gesicht breit. »Hier gibt es nichts, was mein Interesse verdient hätte. Irgendein Dummkopf hat einen Fehler gemacht. Dafür ist mir mein Verstand zu schade.«
»Das ist doch gut, oder nicht?«
»Eine zufällig entstandene Epidemie tötet ebenso gründlich wie eine im Labor gezüchtete.«
»Gibt es einen Weg, das aufzuhalten?«
Der Doktor nimmt eine Brotkruste zur Hand. Sie ist mit einer grünlichen Schimmelschicht bedeckt. Versonnen betrachtet er den Pilzüberzug. »So viele im Wachsen begriffene
Dinge sind uns zuträglich. Und so viele lebensgefährlich.« Er hält Kanya das Brot hin. »Versuchen Sie es.«
Kanya schreckt zurück. Gibbons verzieht den Mund zu einem Grinsen und beißt hinein. Bietet ihr das Brot erneut an. »Vertrauen Sie mir.«
Kanya schüttelt den Kopf und unterdrückt den dringenden Wunsch, schützende und reinigende Gebete für Phra Seub aufzusagen, die ihren Aberglauben verraten würden. Stattdessen berührt sie kurz ihr Amulett und stellt sich den Heiligen im Lotussitz vor. Sie wird sich vom diesem Dämon nicht aus der Reserve locken lassen.
Der Mann nimmt einen weiteren Bissen. Krümelt sich das ganze Kinn voll. »Wenn Sie bereit sind, einen Happen zu sich zu nehmen, werde ich Ihre Frage beantworten.«
»Ich würde niemals etwas aus Ihrer Hand nehmen.«
Der Doktor lacht laut auf. »Aber das haben Sie doch bereits. Jede einzelne Spritze, die Sie als Kind erhalten haben. Jede Impfung. Jede Auffrischung.« Er hält ihr das Brot hin. »Das hier ist persönlicher. Sie werden es nicht bereuen, davon probiert zu haben.«
Kanya deutet mit dem Kopf in Richtung Mikroskop. »Um was genau handelt es sich bei dieser Sache? Werden Sie weitere Untersuchungen vornehmen?«
Gibbons schüttelt den Kopf. »Das? Das ist nichts. Eine alberne Mutation. Ein Standardprodukt. Die haben wir bei uns im Labor auch gehabt. Müll.«
»Warum haben wir dann noch nie etwas Vergleichbares gesehen?«
Gibbons’ Ausdruck wird ungeduldig. »Weil Sie den Tod nicht auf die Art züchten, wie wir es getan haben. Sie trauen sich nicht an die Bausteine des Lebens heran.« Für einen Moment sieht sie wirkliches Interesse und so etwas wie Leidenschaft in seinen Augen aufflackern. Zugleich schimmert
Bosheit und Habgier darin. »Sie haben ja keine Vorstellung davon, was wir in unseren Laboratorien alles erschaffen haben. Dieser Firlefanz hier ist reine Zeitverschwendung für mich. Ich hatte gehofft, dass Sie mit einer Herausforderung an mich herantreten. Etwas aus der Hand von Dr. Ping und Raymond. Oder vielleicht von Mahmoud Sonthalia. Eine Aufforderung zum Tanz.« Der für ihn sonst so charakteristische zynische Ausdruck ist nun verflogen. Er wirkt beinahe entrückt. »Ha! Das wären würdige Gegner.«
Wir sind einem Spieler ausgeliefert.
Die Einsicht durchfährt Kanya wie ein heißer Blitz. Sie hat den Doktor durchschaut.
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