Bios
sich weigerte, ein Higgs-Modul aus der IOS andocken zu lassen, was bedeuten würde, dass die Überlebenden nicht überleben würden.
Degrandpre fand keinen Gefallen an der Vorstellung, Teil eines winzigen, gefrorenen Himmelskörpers zu werden, eingesargt in einer Art künstlichem Kuiper-Körper, einem kometenähnlichen Mausoleum, das endlose Bahnen um die Sonne zog.
*
Er unterhielt sich über Sichtfunk mit Corbus Nefford.
Der Chefarzt der Station litt Angst, das war deutlich zu sehen. Die Uniform trug Schweißringe, das Gesicht war blass und teigig, die Augen geweitet. Degrandpre versuchte sich vorzustellen, wie der Thymostat dieses Mannes auf Hochtouren arbeitete und in fieberhafter Eile molekulare Ordnungshüter synthetisierte…
»Es ist absurd«, beharrte Nefford, »mich ausgerechnet jetzt hier anzuketten…«
»Sicher, Corbus, Sie haben ja Recht. Aber so steht es nun mal in der Notverordnung.«
»Die sich pedantische Theoretiker ausgedacht haben, die offenbar keine Ahnung…«
»Die sich das Kartell ausgedacht hat. Nehmen Sie Ihre Zunge in Acht, Doktor.«
Die schmalen Augenbrauen und der schmale Mund des Arztes zogen sich gereizt zusammen, als ob, dachte Degrandpre, von innen jemand die Nahtfäden straffe. Der bisherige Manager für Medizin schien den Tränen nahe, kein gutes Omen. »So begreifen Sie doch. Diese Leute sind so rasch gestorben.«
»Sie starben in Zone Fünf, richtig?«
»Ja, aber…«
»Wozu dann die Panik?«
»Ich will doch nur ein bisschen mehr Abstand von der Kontamination. Ist das zu viel verlangt? Alle anderen zieht es zu den Gärten, wie man hört. Warum soll ich diese Arbeit machen, ausgerechnet ich?«
»Das entscheiden nicht Sie, Doktor.«
»Ich habe ein Leben lang in ästhetischer Umgebung gearbeitet. Ich gehöre zum Adel! Ich erhalte die Gesundheit! Ich führe keine Autopsien durch! Diese… diese Art von Arbeit ist mir fremd.«
Neffords Stimme verlor sich, er hieb die Stirn auf seinen Ärmel. Der Arzt war krank.
Vor Angst.
Hoffentlich, dachte Degrandpre. Diesmal beneidete er seinen Vater. Um dessen sture Religiosität. Um den Propheten, zu dem er gebetet hatte. Hier gab es keinen Propheten, kein Mekka, kein Jerusalem. Kein Paradies und keine Vergebung, keinen Spielraum für Fehler.
Nur einen Teufel. Und der Teufel war fruchtbar, der Teufel lebte.
Siebzehn
Die Evakuierung von Marburg nahm anderthalb Tage in Anspruch.
Die Forschungsstationen Marburg und Yambuku sahen sich zum Verwechseln ähnlich, erstere hatte sich tief im gemäßigten Wald des Kleineren Nordkontinents etabliert. Auch sie lag mitten in einer Rodung, der streng sterile Kernbereich enthielt Innenschichten, die eine wachsende Gefahr für Leib und Leben bedeuteten. Die organisch kontaminierten Außenwände wurden täglich abgeschrubbt – allerdings weniger gründlich, seit die Wartungsroboter erste Störungen gezeigt hatten; die Hangars standen voller Maschinen, die repariert werden mussten, und ein dünner bakterieller Belag hatte drei Luftschleusen unbrauchbar gemacht. Als sich ein ähnlicher Befall an den Dichtungen des Shuttledocks zeigte, hatte Weber, der leitende Manager, ein Virologe aus dem Shoe-Clan, die totale Evakuierung verlangt.
Seine Forderung stieß bei der IOS auf wenig Gegenliebe. Anscheinend wollte man den Shuttle von Marburg auf ein zweites Dock umlenken, das für eine längere Quarantäne eingerichtet war. Weber führte das auf terrestrische Paranoia zurück, auch wenn es Schlimmeres bedeuten konnte. Aber ein Aufschub kam nicht infrage. Weber liebte Isis und hatte geschuftet, um aus Marburg ein florierendes Unternehmen zu machen. Doch er war Realist. Die Evakuierung noch länger hinauszuzögern, hieß, den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen.
*
Die Hochseestation war bereits kollabiert. Die Polarstation, verankert in der Eiswüste der nördlichen Polkappe, meldete keine besonderen Vorkommnisse und fuhr fort, von der Hand in den Mund zu leben.
Yambuku allerdings stand am Rande des totalen Zusammenbruchs.
*
Avrion Theophilus stürmte aus der Dekontamination durch die Schotts des Shuttlebereichs, vergaß alle Regeln der Höflichkeit und marschierte direkt zur Teleleitstelle von Yambuku.
Seine Galauniform von Devices & Personnel zog ein paar Blicke auf sich. Er hatte sich daran gewöhnt, zumindest wenn es sich um Kuiper-Leute handelte. In der zivilisierten Welt galt es als tölpelhaft, diesem bäuerlichen Impuls zu folgen. Doch Yambuku war nicht die
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