Birnbaeume bluehen weiß
Krankenhauses gebracht. Klaas hatte keine Ahnung, wo er Gerard und Kees finden konnte, und irrte lange durchs Krankenhaus, bevor er auf die Idee kam, zur Ambulanz zu gehen. Während seiner Suche war er auf sämtlichen Stationen gewesen, und die Ruhe, die dort herrschte, hatte auch ihn ruhig gemacht. Nirgendwo lagen Menschen und schrien oder brüllten oder bluteten entsetzlich. Anscheinend war Besuchszeit, überall saßen Leute an den Krankenhausbetten. Er sah Blumen und hörte Gelächter. Die Leute taten, als wären sie nicht in einem Krankenhaus. Während Klaas durch die langen Gänge irrte, fing er Fetzen von Gesprächen auf. Gespräche, die Leute auch zuHause auf dem Sofa oder im Badezimmer führen könnten. Die Ärzte und Schwestern, die er sah, gingen in aller Ruhe durch die Gänge, als wenn es nichts gäbe, worüber sie sich aufregen müssten.
Wir waren eine Weile getrennt gewesen, was uns nicht oft passiert, aber als Klaas ins Wartezimmer vor der Ambulanz trat, waren wir wieder zusammen. Vor Schreck oder Erleichterung fing Kees an zu flennen, als er Klaas sah.
»Was hast du?«, fragte Klaas.
»Einen gebrochenen Arm«, sagte Kees. Er sah Klaas eine Weile an, ohne etwas zu sagen. »Ich habe nicht mal eine Betäubungsspritze gekriegt«, sagte er danach ein wenig gekränkt. »Aber es ist ein schöner Bruch.«
Klaas fragte Gerard nichts. Er sah genug.
»Wo ist Gerson?«, fragte Gerard.
»Irgendwo oben. Auf der Intensivstation.«
»Warum? Ist es so schlimm?«
»Das wissen sie noch nicht, sie untersuchen ihn noch. Er ist nicht bei Bewusstsein, sie sagten, dass er stabil sei. Was immer das bedeutet.«
»Aber er hat doch Au gesagt?«, fragte Kees. Er zog die Nase hoch.
»Schon, aber offenbar ist er danach bewusstlos geworden.«
Gerard stand auf. Er fasste Kees am linken Arm und zog ihn aus dem knallroten Plastikstuhl hoch.
»Wo ist die Intensivstation?«
Zu dritt gingen wir Klaas’ Irrweg in umgekehrter Reihenfolge zurück. Nur war es jetzt kein Irrweg mehr. Wir wussten, wo wir waren, wir wussten, wohin wirgingen. Genäht, eingegipst, mit steifem Nacken und mit dem Gefühl, als sei das Linoleum aus Kaugummi, gingen wir durch scheußlich lange Gänge und über eine scheußlich steile Treppe zur Intensivstation.
»Splenorrhagie? Was ist das für ein Wort? Das sagt mir rein gar nichts!« Gerard hob seine Stimme nicht, sondern sprach die Worte fast verbissen aus. Er regte sich auf, das war deutlich.
»Eine Milzblutung. Seine Milz ist gerissen, und der Chirurg führt gerade eine Splenorrhaphie durch.«
»Splenorrhaphie. Im einen Moment sieht man sich blühende Birnbäume an, und im nächsten Moment erzählt dir jemand, dass dein Sohn eine Splenorrhagie hat.«
Der Krankenpfleger schaute auf den Boden. Aus den kurzen Ärmeln seines dunkelgrünen T-Shirts kamen muskulöse Arme zum Vorschein. Er hatte kurzgeschorene Haare, einen stoppeligen Dreitagebart, und in seinem linken Ohrläppchen hing ein silbernes Kreuz. Wir würden ihn in den nächsten Wochen oft sehen, aber das wussten wir damals noch nicht.
Bevor er die schwierigen Wörter nannte, hatte er uns schon von Gersons rechtem zerschmetterten Unterarm erzählt. Von seinen stark geprellten Rippen. Und von einer Verletzung seiner Augen, die von der Stange aus dem Dach verursacht worden war. Die Stange, die wir nicht sehen wollten, als wir noch im Auto saßen. Über die weniger ernsthaften Dinge, Fleischwunden und Prellungen, hatte er nichts gesagt.
»Und jetzt?«, fragte Gerard.
»Jetzt nichts«, sagte der Krankenpfleger, der Harald hieß. »Abwarten. Möchtet ihr was zu trinken?«
Harald war schwul, das sahen wir gleich. Aber das war uns egal, das stört uns nicht. Er war sehr lieb. Vor allem auch zu Gerson, der noch ein paar Wochen im Krankenhaus liegen würde. Er brachte uns in ein leeres Zimmer. Kurze Zeit später schob er einen Teewagen mit Kaffee und Mineralwasser herein. Wir nahmen jeder ein Fläschchen Wasser. Das Zimmer hatte ein riesiges Fenster. Durch das Fenster hatten wir einen großartigen Ausblick über die Stadt, in der das Krankenhaus war. Sie waren so lange mit Gerson beschäftigt, dass wir sahen, wie die Nachmittagsaussicht eine Dämmerungsaussicht wurde. Harald hatte irgendwann das Neonlicht eingeschaltet.
»Wenn ihr das Licht zu grell findet, könnt ihr auch das Wandlicht anmachen«, sagte er.
»Ja, ausmachen«, sagte Gerard sofort.
Danach saßen wir in einem dämmrigen Zimmer und schauten über die Stadt.
»Das ist nicht
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