Bis ans Ende der Welt
eine wichtige Station beim Passieren des Causse de Limogne darstellte. Eine große steinerne Kirche gab es hier, sehr wohl, aber das war in Frankreich auf dem Camino wirklich nichts Besonderes. Überall standen Gotteshäuser, die einem Bischofssitz keine Schande machen würden. Gab es da nicht ein Mauerrest von einem historischen Hospiz? Nein, es war ein Gemeindewaschplatz. Aber was habe ich zu Abend gegessen, wie und wo habe ich geschlafen? Wo war François, wo war der Herr? Nichts mehr da, alles aus dem Speicher gelöscht, verschüttet. Ich kann mich an jeden einzelnen Schritt beim Betreten und beim Verlassen von Le Puy, von Conques erinnern, an Gerüche, Menschen, Emotionen, hier waren es nur Steine, Staub und bleierne Hitze, bis wir am nächsten Nachmittag eine ältere französische Pilgerin trafen und mit ihr bis Cahors zusammen marschierten. Sie hatte einen schwarzweiß gesprenkelten Hund bei sich, den sie sinnigerweise Pepper nannte. Die Hundegesellschaft konnte sie sich leisten, da ihr die Tochter mit dem Wohnwagen folgte und sie jeden Tag für die Nacht aufnahm. Sonst war es nämlich sehr schwierig, mit einem solchen Tier in den Herbergen unterzukommen. Am ehesten noch mit einem Esel, der war dem Pilger erlaubt, da auch der Herr auf dem Rücken eines Esels in Jerusalem einzog. Das macht das widerspenstige Tier in katholischen Kreisen zu einer Art heiliger Kuh. Es gab spezielle Huftierherbergen, Hunde aber waren nirgends willkommen außer vielleicht bei den einheimischen Kläffern, die es zu Tausenden auf dem Weg gab. Auch macht ein normaler Hund nach etwa zwanzig Kilometern schlapp, braucht viel Wasser, was in trockenen Gegenden ein Problem sein könnte. Ein Hund auf dem Camino war schon was Besonderes.
Wir gingen einige Stunden zusammen den öden Weg und diskutierten die Torheit der deutsch-französischen und anderen Kriege, von denen diese Ödnis herrührte. Seit dem Mittelalter wurde das französische Landvolk etliche Male stark dezimiert. Die Eroberungswallfahrten ins Heilige Land, die von dort eingeschleppte Pest, die Religionskriege, der Bürgerkrieg, die napoleonischen Kriege, die zwei Weltkriege – all das sog das historische Kulturland leer. Im Zug oder im Wagen fiele es einem vielleicht nicht so auf. Doch als Pilger zu Fuß nahm man es deutlich wahr. Im Vergleich mit Mitteleuropa, wo sich die Dörfer fast berühren, herrschte hier eine richtiggehende Leere. Man sah kaum Ortschaften und kaum Menschen, eigentlich mehr Pilger als Einheimische. Ohne das historische Pilgergeschäft hätten wohl noch ein paar Menschen mehr in die Industriezentren abwandern müssen. Und überall an den Kirchen und Rathäusern standen die Mahnmale mit den Namen der Gefallenen und Verschollenen. Man konnte ihnen nicht aus dem Weg gehen, und ich befand mich auf eine gewisse Art mittendrin. Auf dem Camino nimmt man die Dinge einfach anders wahr, mißt ihnen mehr oder auch weniger Wert als sonst, wenn man zu Hause das Gold zählt und das Silber poliert. So erzählte ich die Geschichte von meinem Autounfall in Saint Afrique. Ein entgegenkommender Wagen kam in der Kurve ins Schleudern und stieß mit hoher Geschwindigkeit mit unserem Auto zusammen, das daraufhin anderthalb Meter kürzer wurde. Meiner Freundin brach der Sicherheitsgurt die Brust. Man brachte sie ins örtliche Krankenhaus, behandelte sie aber nicht allzu freundlich. Und die Gerdarmen mich auch nicht. Das feindselige Verhalten blieb mir unerklärlich, bis ich nach ein paar Tagen auf ein Denkmal für gefallene Partisanen stieß. Es hieß, deutsche Soldaten hätten sie massakriert. Einige der Einheimischen verloren dabei Angehörige. Darunter auch die Oberschwester ihren Bräutigam. Nun ist es halt so, daß Deutsche die Schuld für alles in den zwei Weltkriegen tragen sollen. Doch was hatte ich denn damit zu tun? Meiner Generation stand der Zweite Weltkrieg genauso fern wie die Schlachten des Mittelalters. Doch als ich es zu Hause erzählte, kam ein etwas entfernter Verwandter mit der wahren Geschichte heraus. Er diente als Panzergrenadier in der Wehrmacht, nahm gar am Unternehmen Wintergewitter teil, das den Stalingradkessel aufbrechen sollte. Zum Zeitpunkt der Alliierteninvasion in der Normandie lag die Einheit zur Erholung an der Côte Azur und sollte im Eilmarsch in die Bretagne verlegt werden. Auf ihrem Weg wurden sie jeden Morgen von den Hügeln beschossen. Es gab Verluste. Da das Muster immer gleich war, legten sie sich eines Nachts da oben auf die Lauer und
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