Bis ans Ende der Welt
vom Autocamping versehen. Vielleicht suchten sie mehr eine billige Übernachtung als den eigentlichen Camino. Andere hätten auch Clochards und Vagabunden sein können, zumindest waren sie soweit heruntergekommen, daß man die Grenze nicht deutlich ziehen konnte. Alle verbrauchten Wasser und andere Ressourcen, bedienten sich in der Küche und gaben bestenfalls eine kleine Spende, wenn überhaupt. Figeac schien mir ein einzigartiger Platz, bevölkert mit einzigartigen Menschen, belebt mit einzigartigen Szenen. In einem Hof stolperten wir über die dreisprachige Inschrift des Steins von Rosette in den Granitbelag originalgetreu geätzt, anhand der die ägyptischen Hieroglyphen dechiffriert werden konnten. Ein teuerer Straßenschmuck war das, doch der Begründer der Ägyptologie, Jean François Champollion, kam von hier. Auch entdeckte ich nur ein paar Schritte von der Herberge das teuerste und wohl luxuriöseste Hotel dieser Reise. In einem anderen Leben werde ich da am Abend hineinmarschieren, mit Rucksack auf dem Rücken, verstaubt und nach Schweiß riechend, voraus sechshundert Euro löhnen und im Morgengrauen gelassen weiterpilgern. Ob der Herr da auch mitkäme? Aber vielleicht bekäme ich dann auch einen eigenen Straßenbelag.
Cajarc, km 1588
Der nächste Tag begann damit, daß wir uns verliefen. Irgendwo hinter der Stadt bog der Camino plötzlich in den steilen Hang hinein, während wir fröhlich auf der asphaltierten Straße entlang der Eisenbahnlinie weiter liefen, voll in ein Gespräch mit dem Bremer Ehepaar vertieft. Wir merkten unseren Irrtum erst, als die Straße plötzlich zu Ende war, und mußten anderthalb Kilometer zurückgehen. Da der Bergpfad wirklich widerlich steil war, bedauerten wir sehr, unsere Energie mit dem sinnlosen Umweg verschwendet zu haben. Nun aber wurde die Landschaft sehr eigenartig. Es war eine verwitterte Kalkplatte, die spärlich mit Büschen und Bäumen bewachsen war, durch die sich enge, ausgetretene Pfade schlängelten. Quercy hieß dieser urwüchsige Landstrich, der bis Moissac reichte. Begrenzt wird er von den Flüssen Lot und Célé. Die einzelnen Kalkplatten werden Causses genannt und als Schafsweide genutzt. Man mußte sehr aufpassen, um nicht auf einem der zahlreichen sich kreuzenden Schafspfaden vom Kurs abzukommen. Mir gelang es in den kommenden Tagen mehrmals. Der Herr sandte dann meist jemanden, der mich wieder auf den Weg brachte, oder ein anderes Zeichen. Merkwürdigerweise hatten andere Pilger keine Probleme damit, dem sehr gut markierten Camino zu folgen. Aber ich hatte immer etwas zum Nachdenken und zum Betrachten und zum Bereden, daß ich mich um das Offensichtliche nicht immer kümmern konnte. Mehrere Male tauchten merkwürdige Steingebilde auf, die aus zwei dicken Steinplatten bestanden, über die eine dritte gelegt wurde. Es waren sogenannte Dolmen, vorgeschichtliche Megalithgräber. Francois aber verwechselte sie mit Cazelles , den Schutzhütten der Schafshirten. Diese komischen Schlupflöcher konnten es aber nicht sein. Nicht einmal vor dem Regen hätten sie Schutz geboten. Und nach fünftausend Jahren hatten sie längst keinen TÜV-Stempel mehr und machten teilweise keinen sehr stabilen Eindruck. Die obenliegende Platte muß jeweils mehrere Zentner oder gar Tonnen gewogen haben. Ich hätte mich jedenfalls nicht darunter gelegt, es sei denn, ich war schon tot. Auf die Probe gestellt, wollte François das angebliche Hirtenbett auch nicht testen und gab auf. Am Gipfel des Berges Cingle markierte ein origineller Obelisk die Grenzen einer im achten Jahrhundert vom König Pippin gegründeten Abtei. Überall gab es Rätsel, Überraschungen und spektakuläre Aussichten. Die Pilger diskutierten lebhaft den Abstecher zum Marienheiligtum Rocamadour. Im 12. Jahrhundert war es einer der bekanntesten Wallfahrtsorte Frankreichs und wegen der seltsamen Felsenbebauung auch heute offenbar ein Muß für jeden Franzosen. Jedenfalls war es eine große Freude, hier zu pilgern, und ich dankte dem Herrn dafür.
Es war heute eine lange Etappe, und die Sonne heizte den Kalkboden irrsinnig auf. Die Hitze war mörderisch. Die Höhe über dem Meer betrug nur etwa zwei- bis vierhundert Meter, aber wie üblich ging es entweder berauf oder bergab. Überall gab es irgendwelche Schluchten. Kurz vor Cajarc war Francois kaum noch fähig, einen Schritt zu tun, und ich war nicht viel besser dran. Wir legten trotz der bereits fortgeschrittenen Zeit an einem Straßenrastplatz noch eine lange
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