Bis ans Ende der Welt
Camino, die ich schon zu Hause auf der Karte ausfindig machen konnte. Es gibt deren ja nicht zu viele, meist geht es über Berge und Täler an der Zivilisation vorbei. Die Hälfte des Weges durch Frankreich lag hinter mir, noch etwa zwei Wochen, bis ich das Land verließ. Was ich indessen bedauerte, so viele liebe Menschen habe ich da kennengelernt. Alle waren sie lieb zu mir, manche gewann ich als Freunde. Manche, die mit mir zusammen in Le Puy losgingen, wollten von da nach Hause zurück. Man geht halt in Frankreich den Camino in Jahresetappen und kommt auch ans Ziel. Und da der Franzose keine Gelegenheit ausläßt, um gemeinsam zu speisen, war freilich auch ein Abschiedsessen angesagt. Das war auch mir sehr willkommen. Da war ich mit Feuer und Flamme ein Franzose. Außerdem wollte ich aus diesem Anlaß wieder einen Tag Auszeit nehmen. Ich war inzwischen ziemlich abgewirtschaftet, jede Gelegenheit war mir recht.
Um die Mittagszeit pausierte ich in einem Stoppelfeld. Ich blieb hier ziemlich lange. Die riesigen Platanen, welche die Landstraße säumten, gaben dem Ort etwas Liebes, Romantisches, was mich zum Verweilen brachte. Bei uns hat man Baumalleen an den Straßen längst abgesägt. Besoffene Jugendliche, wenn sie aus der Disko nach Hause rasen, sollten nicht dagegen stoßen. Der Mensch, auch der besoffene, geht ja vor dem Baum. Der Baum hat ihm zu weichen! Vor dem Auto zur Seite springen kann er nicht, also wird er gefällt. Hier aber gab es entweder keine Diskotheken, oder die Jugend hatte andere Sitten, als besoffen Auto zu fahren. Jedenfalls blieben die großartigen Alleen, die einst unter Napoleon gepflanzt wurden, um marschierenden Soldaten Schatten zu spenden, hier noch weitgehend erhalten. Die Bäume werden jedes Jahr bis auf den Stamm beschnitten und treiben im Frühjahr schöne grüne Kronen aus. Diese Platanen hier hatten einen Rumpfdurchmesser von mindestens einem Meter. Sie waren herrlich, und ich legte meine Hände an die glatte, helle Rinde und horchte ein wenig in sie hinein. Es ging Kraft und Ruhe von ihnen aus. An einen Strohballen gelehnt aß ich von der geschenkten Baguette und der letzten Fischdose, die ich noch im Rucksack finden konnte, und fühlte mich eigentlich recht miserabel. Das Feld gab seinen Ertrag, mehr war von ihm nicht zu erwarten, der Boden war hart und müde. Durch die Löcher in der Hose stachen Stoppeln in meinen Hintern. Meine Füße brannten, als ob sie im Flammen stünden. Ich überlegte, ob ich nicht Pater Gunther schreiben sollte, mir wieder die alten Bergschuhe zu schicken. Die Opfer, die uns der Herr abverlangt, sind eigentlich nie über unsere Kräfte, aber das hier ging allmählich zu weit. Ich fragte den Herrn, wie weit er es noch treiben möchte, aber er schwebte sorglos über dem kleinen Tal und freute sich an der lindgrünen Glut der Baumkronen. Es war nicht leicht, aufzustehen und weiterzugehen, aber die Stoppeln gaben den Ausschlag.
Moissac war nicht mehr weit. Der Camino lief nun an Autostraßen entlang, immer mehr Kreuzungen waren zu passieren, es gab immer mehr Anzeichen von Menschen. Ich mußte mich wieder erst an den Trubel gewöhnen, an Lärm, Staub und Hetze durch den Autoverkehr. Auch haben Stadtrandbezirke selten Reizvolles zu bieten. Hier standen recht armselige niedrige Häuser, davor kaputte Gehsteige und löchrige Straßen. Menschen in freier Laufbahn waren nicht zu sehen. Der Führer berichtete von einem hohen Anteil Araber in der Stadt, was den etwas schäbigen Eindruck dieses Viertels erklären würde. Migranten können oder wollen keine zu hohen ästhetischen Ansprüche stellen. Ich wich bald auf eine etwas längere, doch schönere Route aus, die sich rundherum durch die grünen Hänge zum Stadtzentrum schlängelte, versank in Gedanken, und bis ich mich umsah, stand ich vor der Abteikirche Saint-Pierre im Zentrum der Stadt.
Das auffälligste Merkmal dieses romanischen Kirchenbaus, architektonisch eines der bedeutungsvollsten des 11. Jahrhunderts, ist sein Portal und das beeindruckende Tympanon mit der Darstellung der Apokalypse. Das bekam das Gotteshaus aber erst hundert Jahre später. Bis zur Säkularisierung stand hier eine berühmte Abtei, die dann als Lagerhaus verschwendet wurde. Sonst hätte man vielleicht alles eingerissen. Übriggeblieben ist immerhin noch ein Kreuzgang mit 76 Arkadenbogen, bestimmt einer der herrlichsten, die ich je sah. Jede Säule ist anders, eine anmutiger als die andere, und ich nahm mir Zeit, sie zu
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