Bis ans Ende der Welt
den Herrn loben? Wohl kaum.
An der Böschung lagen große Flußboote festgemacht. Meist waren sie englischer Herkunft. Nach und nach krochen die Schläfer ins Freie, rieben sich die Augen und besahen das Wunder um sich herum. Dann verschwanden sie wieder in den Schiffseingeweiden. Die Engländer schienen die großen Nutznießer der südfranzösischen Naturschönheiten zu sein. Es sprach für sie und ihren guten Geschmack. Auf dem Treidelpfad wanderte ich langsam entlang des Kanals, passierte nacheinander die Stauwehre, kleine Wächterhäuschen mit prächtigen Gärten vor den Fenstern, und träumte davon, eines Tages selbst mit dem Boot hier auf dem lindgrünen Wasser zu liegen, scheinbar unterwegs, doch ohne Pläne und Ziele, einen Sommertag nach dem anderen wie den Rosenkranz durch die Finger lassend. Die meisten Segler träumen von einer Weltreise. Meine Vorstellung von einer Weltumsegelung war das hier. Die Welt um mich herum war voller Harmonie. Vögel verstummten, wenn ich mit dem Herrn vorbei ging, und zwitscherten sogleich wieder in Aufregung über die frohe Botschaft. Dann, vor einem Dorf mit dem für Frankreich echt seltsam klingendem Namen Pommervic war das Wunder zu Ende, ich hatte nach Südwesten abzubiegen, und der Kanal blieb hinter mir zurück, ein Traum unter der Glocke der Schönheit. Ich würde mich heute wohl fragen, ob es ihn wirklich so gab, wäre nicht François zwei Wochen später hier gegangen und hätte nicht genau dieses Bild, das ich so persönlich empfand, mit seiner Digitalkamera festgehalten.
Es ging nun weiter zwischen flachen, fruchtbaren Feldern. Hier begann Gascogne, die Heimat des königlichen Musketiers d’Artagnan, des kühnen Recken und Charmeurs, wie ihn der Schriftsteller Alexander Dumas in seiner Phantasie erschuf. Zur Einstimmung kam sogleich das romantische Städtchen Auvillar, wo vor der einzigartigen runden Markthalle unter den Arkaden alle mir schon bekannten Pilger beim Kaffee und Eis herumsaßen. Ausgenommen Florence, die ja aus Belgien kam, blieben mir mittlerweile nur noch waschechte Franzosen als Reisegesellschaft übrig. Man faulenzte still, aalte sich in der Sonne wie ein Haufen fauler Kater und zeigte keinerlei Intentionen, den Weg heute vielleicht noch fortzusetzen. Das war mir mehr als sympathisch, und ich gesellte mich sofort dazu. Über dem Geschäft hing ein lustiger Blechpilger als Zeichen der Solidarität. Abgesehen von dem Geschäft und den Gästetischen lag hier der Platz mit der seltsamen Rotunde unter dem hellblauen Himmel von jeder Moderne völlig unberührt. Der Kopfsteinpflaster aus hellen runden Kieselsteinen kannte wohl noch den Sonnenkönig. Es überraschte mich zu erfahren, daß die originelle runde Markthalle erst im 19. Jahrhundert entstand. Die Stadt wirkte auf mich historisch völlig intakt, durch keine Neubauten oder Verkehrsmaßnahmen verschandelt. Dementsprechend machten die Bewohner einen zufriedenen, freundlichen Eindruck, trugen Lachen im Gesicht und schritten leicht und luftig aus. Nirgends lag auch nur ein Papierfetzen, die Hausecken waren nicht vollgepißt oder vollgekotzt, wie es bei uns so üblich ist. Hier ließ es sich in aller Ruhe leben.
Aber das galt nur für die Einheimischen, den Pilger treibt die Sehnsucht an. Außerdem verabredete ich mich mit Laure, Celine und Angelika für den morgigen Tag in Lectoure, von wo die zwei Pariserinnen schon wieder nach Hause fahren wollten. Die Mädchen wollten wegen der anstehenden Rückreise nicht in Moissac auf mich warten und waren mir nun einen Tag voraus. Heute hätte ich sie vielleicht noch in Miradoux einholen können. Das hätte für mich aber eine Tagesetappe von achtunddreißig Kilometer bedeutet – zu viel, obwohl ich schnell ging. Die neuen Einlagen machten sich bezahlt, ich lief wie auf Wolken. Ein Drittel des Weges bestand aus asphaltierten Landstraßen, den konnte ich auch in Sandalen gehen. Ich wollte ja nichts riskieren. Doch mußte man wiederum auf die Gelenke aufpassen. Die hätten mich wie andere zuvor leicht nach Hause schicken können. Aber wenigstens die Verabredung in Lectoure wollte ich halten und trödelte nicht. Angelika sollte dort in einem Frauenkloster die Übernachtung auch für mich reservieren. Das war wichtig, weil es hier so einige Festivitäten gab, und viele Menschen unterwegs waren, davon auch Gruppen, die ohne weiteres den ganzen Gîte belegten. Da konnte man dann sehen, wo man blieb. Diese Leute reservierten schon Wochen voraus. Uns reichte es,
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