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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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betrachten. Und um die Sache für mich erst richtig rund zu machen, stand in der Einfriedung eine riesige Libanon-Zeder. Die imponierte mir fast noch mehr. Das Meiste meiner anderthalb Tage in Moissac drehte sich um diesen Ort, und auch der Herr schlug hier sein Lager auf und vergnügte sich am Spiel der goldgrünen Lichtstrahlen, die durch die riesige Baumkrone gefiltert, den Hof fluteten. Ich traf hier Lüdtke und Monika, das norddeutsche Ehepaar, die Nepal-Amerikaner und einige andere Bekannte vom Camino. Alle waren sie in feierlicher Stimmung wegen der Erhabenheit dieses Ortes. So auch ich. Dieser Kreuzgang hatte es mir wirklich angetan. Die meiste Zeit saß ich da mit offenem Mund herum und ließ mich forttragen.
    Die Herberge lag nur ein paar Schritte entfernt, was ungeheuer praktisch war. Es war ein ziemlich großer Bau mit Innenhof, voller Pilger. Zur Begrüßung gab es Limonade und sogar ein deutsches Fräulein als Ansprechpartner für die deutschsprachigen Gäste. Lüdtke und Monika, die ja kein Französisch kannten, waren dankbar für die zusätzliche Kommunikationsmöglichkeit. Ich bekam ein Zimmer, karg wie eine Gefängniszelle, doch nur für mich allein. Ein Luxus. Das Fräulein mochte mich offensichtlich. Das überraschte mich längst nicht mehr, war ich ja schließlich einem berühmten Segler ähnlich. Also machte ich das Beste daraus und fragte es nach einer Wanderhose. Viele der Pilger lassen oder vergessen Teile ihrer Ausrüstung in den Herbergen. Und ich benötigte dringend eine neue Hose. Aber der Herr lachte nur. Mit trauriger Miene, die wohl echt war, brachte das deutsche Fräulein ein Paar leichte schwarze Joggershorts einer Nobelmarke für Sportbekleidung. Mehr sei nicht da gewesen. Ich nahm die Shorts. Sie war zwar nicht unbedingt das, was ich wollte und brauchte, wog aber fast nichts und tat mir später noch gute Dienste. Doch mein Problem war damit längst nicht gelöst. Ich brauchte etwas Robusteres für schlechtes Wetter. Die Hitzeperiode werde nicht ewig halten, und die Pyrenäen kamen immer näher, das stand fest. Nicht einmal auf dem Arabermarkt am nächsten Tag fand ich Passendes. Es war wie verhext. Zum Trost schnitt mir noch vor dem Abendessen eine Schweizerin die Haare, und Laure ließ mich durch Angela fragen, ob wir zusammen gehen wollten. Dabei saß sie nur ein paar Schritte entfernt und hätte mich eigentlich selbst fragen können. Aber sie zog es vor, Angela vorzuschicken. Leider umsonst, ich hatte schon den nächsten Tag in der Herberge gebucht und bezahlt, und die Mädchen hatten es eilig. Ihr Urlaub war bald zu Ende.
    Hier liefen echt die seltsamsten Dinge ab. Ich wurde von den Frauen vorteilhaft wahrgenommen und sehr verwöhnt, das mußte ich zugeben, aber eine Hose war wohl nicht drin. Ich ließ mir noch diesen einen Tag den Hintern vom Wind bestreichen, dann schmiß ich das leidige Kleidungsstück in den Abfalleimer. Keiner, auch nicht der Herr, sollte eine Ausrede haben, die Hose ginge etwa noch. Und ich brauche mich über diesen Seelenzustand eigentlich nicht weiter äußern, da der Russe Nikolaj Gogol in seiner berühmten Erzählung Der Mantel längst alles dazu schrieb. Demnach kann so ein starkes Begehren stracks in die Sünde führen, auch wenn einem der Wunsch schon erfüllt wurde. Der bitterarme Kleinbeamte Akakij Akakijewitsch hat sich fast aufgerieben, um den so dringend benötigten Wintermantel zu bekommen. Doch das vornehme Stück ging unter rätselhaften Umständen abhanden, Akakij Akakiejewitsch holte sich auf dem Nachhauseweg eine schwere Erkältung und gab bald den Löffel ab. Eine der Interpretationen lautet, der Widersacher habe ihm eingeflüstert, zu viel zu begehren und damit die peinliche Grenze zu überschreiten. Vielleicht gibt es tatsächlich für jeden von uns eine solche Grenze der Begehrlichkeit, die zu überschreiten, Sünde wäre. Auch wenn es einem nicht immer einleuchten will. Es wäre doch nicht zu viel verlangt, oder? Eine Hose! Jeder hier hatte eine ordentliche Hose an. Trotzdem tat ich dem Herrn eine Abbitte. Auch wenn es mir sowieso nicht einfiele, wegen einer lächerlichen Hose, mit ihm zu hadern. Der Herr gibt, der Herr nimmt, er sitzt an einem langen Hebel und tut, was ihm beliebt. Und ich hatte sonst keinen Grund, mich vernachlässigt zu fühlen. Mit wem sonst wanderte der Herr durch halb Europa und so? Ich saß im goldenen Licht auf dem feinen Rasen unter der Zeder und meditierte darüber. Schließlich, um mich etwas von der

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