Bis ans Ende der Welt
schnöden Hose abzulenken, führte mich der Herr in die Stadt zu einem Schuster und zeigte mir geniale Schuheinlagen, die mich weitgehend von dem stechenden Schmerz in der Ferse befreiten. Ohne sie hätte ich es vermutlich nicht bis nach Santiago geschafft, insofern waren sie zehnmal besser als jede andere Hose, die an diesem Tag in Moissac getragen wurde.
In der Abteikappelle gab es jeden Abend einen Gottesdienst. Wie meist auch sonst hier war auch die Messe von den Pilgern gut besucht. In Frankreich schien man doch überwiegend aus religiösen Gründen zu pilgern, und nicht wie etwa bei den Deutschen zum Zwecke der Selbstfindung und des alternativen Urlaubs. Die Kapelle war mit den Lilien der Bourbonen dick geschmückt und machte einen prächtigen Eindruck. Ich fühlte mich in dieser königlichen Umgebung wie ein König, während der wahre König draußen in der Riesenzeder saß und alle segnete, die an ihn glaubten und guten Herzens waren, aber vermutlich auch solche, die es nach unserer Meinung nicht verdienten. Darin war er schon immer eigen. Ein reuiger Lump war ihm angeblich lieber als ein frommer Kirchgänger. Viele, die sich sehr bemühten, gute Christen zu sein und braves Leben zu führen, fühlten sich verprellt. Sobald man zu glauben anfing, je mehr man dafür tat, um so mehr blieb man dem Herrn schuldig. Nie konnte man ihm gerecht werden, zumindest konnte man sich dessen nie sicher sein. So baten wir in Demut, die gewiß nicht lange halten sollte: Ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund. Es war ein guter Platz, um einen Tag zu ruhen und die Dinge von allein ordnen zu lassen.
Saint Antoine, km 1745
In den anderthalb Tagen konnte ich mich einigermaßen erholen, auch kaufte ich einige nützliche Dinge ein. Neben den Schuheinlagen auch Zahnpasta zum Beispiel, auch Tinte für den Füllfederhalter, Pflaster und Vitamine. Solche Dinge gab es in den kleinen Dörfern, die ich zuvor passierte, selten zu kaufen. Die Einheimischen wurden von fliegenden Händlern versorgt oder fuhren mit dem Wagen zum nächsten Supermarkt, wo auch immer er sich befinden mochte. Jedenfalls marschierte ich sehr komfortabel, bis auf weiteres mit allem Nötigen versorgt, eine ofenfrische Baguette quer unter dem Rucksackriemen gesteckt, schon am frühen Morgen durch menschenleere Straßen aus der Stadt hinaus. Der Himmel war noch grau vom aufsteigenden Nebel, in der Nacht mag es geregnet haben. Es war nicht mehr so warm, und die kühle Morgenluft strich um meine nackten Beine. Aber ich verscheuchte das leidige Thema. Pilger waren schon einige unterwegs. Ich war trotz allem nicht der erste, und es war bestimmt nicht mein Ehrgeiz, es zu sein. Um den Bahnhof herum trieben sich einige Heimkehrer, auch für die Norddeutschen war hier das vorläufige Ende der Reise. Sie schienen von ihrem Abenteuer recht beeindruckt und versprachen zurückzukommen. Es waren sehr nette Leute, und wieder hatte ich eine Trennung zu bedauern.
Darüber nachdenkend gelangte ich zum Seitenkanal der Garonne. Der Fluß war nur ein großer, grauer Strom, zumindest an dieser Stelle. Matt schimmerte er durch die Bäume der Pfirsichplantage. Aber der Kanal! Der Kanal war eine Wucht. Und plötzlich lichteten sich die Nebelwolken, die Sonne brach durch die Kronen der Riesenplatanen in goldgrünen Strahlen wie ein Wasserfall, und mir wurde eines der lieblichsten Anblicke meiner Pilgerschaft beschert. Um den Eindruck noch zu steigern, spiegelte sich das Ganze haargenau in dem lehmigen Kanalwasser, so daß ich oben auf der Brücke quasi dazwischen in der Luft schwebte. Wie eine Glocke lag die Anmut über diesem Platz. Es war mir freilich schnell klar, daß der Herr sich eine solche Gelegenheit, mich staunen zu lassen und sein Werk lauthals zu preisen, nicht entgehen ließ. Dafür war er immer zu haben, und ich denke, mit vollem Recht. Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, wie groß bist du! Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet. Du hüllst dich in Licht wie in ein Kleid, du spannst den Himmel aus wie ein Zelt. [43] Was wäre denn der Mensch, wenn er die Hand Gottes in der Natur nicht sehen könnte, sei es auf Erden, sei es am Himmel? Es ist wohl dies, und nicht die vielzitierte Fähigkeit zu denken und zu fühlen, die uns vom Tier trennt. Auch ein Hund ist nicht ohne Gefühle und Überlegungen, das mag sein Herrchen bestätigen, aber kann er vor der Pracht der Schöpfung in Staunen geraten und
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