Bis ans Ende der Welt
halbe Welt oder zumindest zum Gericht in die nächste Kreisstadt reisen. Und während dessen zapfte der Händler vier Fingerhut Olivenöl aus einem Fünfzigliterfaß in eine Plastiktüte ab, ohne darin etwas Ungehöriges zu finden, freundlich und rege tausend wichtige Details erzählend, und bedankte sich höflich für den zwanzig Cent Umsatz. Bald tat mir nichts mehr weh, sogar das Fieber verschwand, und ich verbrachte einen langen Abend mit Tanja und Junzo und allen, die während dessen noch zu uns stießen und uns Gesellschaft leisten wollten. Es war vielleicht der beste Abend auf dem Camino Francés , auch wenn ich es damals noch nicht wußte. In Abwesenheit der peniblen Piefkes dürfte jeder von uns er selbst sein, und unterschiedlich in jeder Hinsicht waren wir tatsächlich so etwas wie eine echte Gemeinschaft, geeint im Geiste des Camino. Junzo verlor etwas von der Reserviertheit und sprach von seinen italienischen Renaissancestudien und dem Tagebuch, seinem Lieblingsthema. Ich habe aber nicht herausgefunden, warum er den Camino ging, außer daß es irgendwie zu ihm paßte. Tanja erzählte, sie sei schon einmal hier gewesen. Es war mit einer Freundin, die sie sehr mochte, und die im April mit dem Fahrrad auf dem Weg zu ihr an der Ecke von einem Laster überfahren wurde. Dies war ihr Abschied.
Mansilla de las Mulas, km 2514
Am Morgen kochte ich Kaffee und lud alle zum Frühstück ein, da vom Vorabend noch genug Brot und Kuchen übrig blieben. Aber diejenigen, die in der Bar zu Abend aßen, lehnten verächtlich ab, sie seien dort zum Frühstück eingeladen, und der Besitzer sei ein so reizender Mensch. Den könne man nicht enttäuschen, er rechne mit ihnen Punkt sieben Uhr. Sei es darum, es hätte vermutlich doch nicht für alle gereicht, dachte ich, und frühstückte ausgiebig mit Junzo und Tanja. Ich war dankbar, diesen zwei interessanten Menschen begegnet zu sein. Um so mehr, als sich mein Zustand immer mehr verschlechterte. Die Erkältung war zurück, eigentlich stärker denn je, die Schürfwunde am Fuß sah dank intensiver Pflege zwar nicht schlechter, doch auch nicht besser aus. Ich beschloß in León, bis dorthin waren es nur noch zwei Tage Fußmarsch, einen Tag Auszeit zu nehmen. Es gab dort ein Frauenkloster der Benediktinerinnen als Herberge, dort wollte ich bleiben. Sollte man mich, wie in Spanien halt üblich, nach der ersten Nacht rausschmeißen, wollte ich ins Hotel ziehen. In diesem Zustand konnte ich nicht weiter. Irgendwie mußte ich die Wunde dazu bringen, sich zu schließen. Und den letzten freien Tag hatte ich in Frankreich – eine Ewigkeit zurück. Es war an der Zeit, eine Pause einzulegen. Mit diesem Entschluß startete ich in den kalten Morgen. Trotz Nachmittagshitze waren die Morgen nun empfindlich kalt. Manchmal konnte man schon den Atem sehen. Und die Kälte hielt neuerdings ziemlich lange an. Es waren hier immer noch über achthundert Höhenmeter. Die am Tage angesammelte Hitze entwich in der sternklaren Nacht zurück ins Weltall. Keine Vegetation konnte sie halten. Außerdem war es schon Ende August, der Sommer war hier bereits verbraucht. Ich fror in meiner kurzen, dünnen Jogginghose, die ich in Moissac geschenkt bekam. Es geschah mir recht, ich hätte im Sahagún die Einkaufsgelegenheit nützen sollen. Im Gehen sinnierte ich darüber nach und kam zum Schluß, daß der Herr sich darum kümmern sollte. Damit war ich zunächst zufriedengestellt, da ich wußte, der Herr ließe mich nicht im Stich. Am Ortsausgang traf ich auf die Gruppe der Barbesucher. Sie schimpften auf den Besitzer, er habe sich gar nicht blicken lassen, sie hätten lange vor dem Haus umsonst gewartet. Eine Sauerei. Ohne gescheites Frühstück laufe sich schlecht. Ich gab ihnen recht. Es lebe das einfache Leben von Bar zu Bar.
Bis nach Reliegos traf ich dann niemanden mehr. Drei kleine Flüßchen und einen Bewässerungskanal gab es zu überqueren. An einer Kreuzung fuhr plötzlich ein Auto vorbei, ein anderes Mal mühte sich ein Traktor durch die Landschaft, und auf den parallel verlaufenden Schienen rasten auffallend häufig moderne Schnellzüge vorbei. Weiter dahinten konnte man die Autostraße und den regulären Camino sehen. Kleine Pilgerfiguren bewegten sich unter den jungen Bäumen in gleicher Richtung wie ich. Fast mühelos, so schien es mir. Ich überlegte, wieder auf die andere, die gute Seite zu wechseln. Aber die Bahn war mir suspekt, die Züge flitzten zu flink hin und her. So schnell und leise, daß
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