Bis ans Ende der Welt
ich dort ankam. Trotzdem war es eine angenehme Überraschung, schon davor eine fesche, moderne Herberge zu entdecken. Eigentlich hätte es auch eine Fata Morgana sein können. Hier einzukehren, bedeutete das Ende der Strapazen, andererseits gab es hier in der Pampa bestimmt nichts zu kaufen. Eine Apotheke, eine Drogerie, ein Lebensmitteladen wären mir nämlich sehr willkommen gewesen. Da aber alle Geschäfte, sofern überhaupt vorhanden, meist geschlossen waren, mangelte es mir inzwischen an allem. Es herrschte Siesta, wo und wann immer man eine Ortschaft erreichte. Aber es nagten gerade irgendwelche kleine Fliegen an mir, was das übliche Leiden auf die Spitze trieb, und ich entschloß mich, auf mögliche Einkäufe zu verzichten und hier zu bleiben. Es überraschte mich, daß der Laden völlig leer stand. Ich war der Einzige hier, obwohl die meisten Pilger um diese Zeit schon intensiv nach einer Bleibe suchten. Wegen der Nachmittagshitze, doch auch wegen der üblichen Überfüllung. Vielleicht lag diese Herberge eben mitten in der Pampa und nicht auf der Taxiroute. In der Stadt gab es dann eine andere Herberge – völlig überfüllt. Mir konnte es nur recht sein. Bald saß ich frisch geduscht und umgezogen mit einer eiskalten Cola auf der Terrasse und las im Saint-Exupérys Kriegstagebuch. Ich hätte auch gerne etwas gegessen, aber als ich mich im Speisesaal an einen Tisch setzte, meinte der Kellner, dem es bis dahin zu weit war, ich müsse mich näher an die Theke verpflanzen. Da ich Spanien und seine Sitten inzwischen mehr als satt hatte, ging ich lieber und blieb hungrig. Der gute Mann schien das entgangene Geschäft nicht zu vermissen. Also saß ich auf der Terrasse, las und träumte zum Spaß, als Pilger schwitzend und stöhnend in der Bullenhitze unterwegs zu sein. Ab und zu zog ein richtiger Pilger in Fleisch und Blut am Zaun vorbei, sah zweifelnd zu der schönen Herberge und mir auf der Terrasse rüber — und setzte dann seinen Weg fort. Echt erstaunlich. So ging es eine ganze Weile, bis der stiernackige Geschäftsmann, diesmal ohne die Walküre, auftauchte. In seiner schwarzen Hose, dem schwarzen T-Shirt und dem roten Kopf sah er mehr als bedenklich aus. Eigentlich völlig fertig. Vielleicht hätte ihm eine kalte Dusche gutgetan, doch er setzte sich in gebührender Entfernung an einen Tisch und erledigte per Telefon seine Geschäfte zu Hause. Vermutlich wollte er seine Freundin nicht versäumen. Nach geraumer Zeit kam auch die blonde Walküre an. Obwohl die Langsamere, war sie nicht in so schlechtem Zustand wie ihr Freund. Frisch umgezogen, rosig und entspannt kehrte sie nach einer Weile vom Duschen zurück und setzte sich neben mich. Der Mann unterbrach wortlos seine Geschäfte und ging selbst duschen. Da wir nun die einzigen Gäste waren, und sie eigentlich einen netten Eindruck machte, konnte ich mich trotz aller guten Vorsätze, mit den Piefkes nicht anzubandeln, wieder einmal nicht halten und fing ein Gespräch an. Das ging erwartungsgemäß nur kurze Zeit gut. Als ich ihr erzählte, ich hätte mangels Einkaufsmöglichkeiten nicht einmal eine Kante Brot mehr, meinte sie, sie würde nie Brot kaufen. Die Restaurants unterwegs würden ihr völlig ausreichen, und sie genieße sehr das einfache Leben aus dem Rucksack. Meinte sie den riesigen Rucksack, den der Geschäftsmann zu schleppen hatte? Wozu denn immer sinnlose Sachen kaufen, man käme auch mit weniger aus, moralisierte sie weiter. Dann gab sie mir noch ein paar gute Ratschläge und Belehrungen mit auf dem Weg, um den Geist des Camino, da ich nun einmal hier sei, nicht ganz zu verfehlen. Schließlich sei sie schon vier Tage unterwegs und wisse Bescheid. Meinen etwas bissigen Einwand, ich sei schon neunzig Tage und zweieinhalbtausend Kilometer auf dem Camino, fand sie wohl unpassend. So könne man mit ihr nicht reden und das Gespräch lieber gleich lassen. Ich gab ihr recht und las weiter in Saint Exupéry. Sie schien damit aber nicht ganz zufrieden zu sein.
Calzadilla de los Hermanillos, km 2489
Es kamen keine Pilger mehr an diesem heißen Tag. Die Masse muß mit Bus oder Taxi gefahren sein, und die wenigen, die hier am Zaun müde und verstaubt vorbeigingen, kehrten einfach nicht ein. Wer weiß warum. So schlief ich völlig alleine in einem kühlen, sauberen Schlafraum, unbelästigt von Schnarchern und Wanzen. Das betuchte Pärchen auf der Suche nach dem einfachen Leben nahm sich ein Einzelzimmer. Am Morgen hatte ich auch das Bad nur für mich.
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