Bis ans Ende der Welt
Klagemauer, doch die übrige Meute wollte offenbar angreifen. Ich hielt sie mit dem Pilgerstab im Schach, ließ sie zum Unbehagen der Einheimischen erstarrt zurück und hatte mich davon gemacht, bevor ich dazu Rede und Antwort hätte stehen müssen. Ich war noch nicht um die Ecke verschwunden, da bog das angelsächsische Paar auf den Platz ein, weckte damit die verzauberte Hundemeute auf, die sie zum Dank umzingelte und angriff. Während ich mich rasch entfernte, hörte ich Schmerzenschreie und wüste Flüche, danach das Jaulen geschlagener Kreaturen. Ich konnte mich erinnern, daß der Engländer einen eindrucksvollen Wurzelstock mit sich führte, und glaubte, in dem wüsten Durcheinander seine Handschrift zu erkennen. Jedenfalls gab es mir die Möglichkeit, in Frieden weiterzuziehen.
Angesichts der darauf gestreuten Kieselsteine war es aber ein teuer erkaufter Frieden. Auch war er bald zu friedlich und zu fad, und ich kam zum Schluß, daß eine ansonsten echt romantische Römerstraße nur schnöde Plackerei ist, wenn man gezwungen ist, darauf zu wandern. Außer hellbrauner Erde und staubigem Gestrüpp gab es gar nichts zu sehen. Die Erde eben und braun, der Himmel flach und blau, der Rest dürr und verstaubt. Alle einigermaßen hellen Pilger mit Hauptschulabschluß nahmen den neugebauten, mit jungen Platanen bepflanzten Camino neben der Autostraße, wo man teilweise im Schatten wandern konnte, während Samurais wie ich und Junzo diese gottverlassene Steppe wählten, um sich daran zu messen. Junzo überraschte mich nicht, der kannte keine Schmerzen, aber über mich selbst mußte ich mich sehr wundern. War ich denn nicht fußlahm und fiebrig, daß ich kaum noch den Schatten eines gepflegten Stadtparks genießen konnte? Und doch mußte ich diesen desolaten Weg nehmen. Natürlich wegen der Autobahn und der vielen Pilger, sagte ich mir zum Trost, aber es war nicht wahr. Ich hätte ihn auch so genommen, wie ich im Leben immer den schwierigen Weg nahm. Und nun konnte ich nicht umkehren, sei es nur aus dem Grunde, weil der Fluß nicht rückwärts fließt, und der Pilger nicht zurück läuft. Hart wie der Kiesel. Der wirkliche Trost jeglicher Trübsal aber liegt darin, das alles — außer dem Herrn — sein Ende hat. Das Gute wie das Böse. Man braucht nur die Geduld und die Demut, es zu ertragen. Tröstlich ist auch der Gedanke, daß der Herr einem nicht mehr aufbürgt, als jeder selbst tragen kann. Und sollte man es auch nicht ertragen können, und das Herz würde einem wie tönender Krug bersten, so liegt ein Trost darin, daß das Leiden damit sein Ende hat. Wie das von Manfred Friedrich Kress am 9. Juni 1998. Ein staubiges Marmorkreuz am Wegrand markiert hier das Ziel seiner Pilgerschaft. Es steht nur der Sterbe- und kein Geburtstag drauf. So wurde es vermutlich von den ahnungslosen Einheimischen aufgestellt. Was müssen sie denn von uns, den endlos Vorbeiziehenden, den Besessenen, wohl denken?
Mein Herz schlug noch, so kam ich irgendwann, ob ich es wollte oder nicht, in Calzadilla de los Hermanillos an, einem armen Bauerndorf mitten von nirgendwo. Ich zählte eine Kirche, eine Bar und ein kleines Lebensmittelgeschäft, doch alle Straßen waren asphaltiert und alle Menschen freundlich und geduldig. Die kommunale Herberge aus roten Ziegeln war noch nicht alt, doch bereits stark heruntergewirtschaftet und nicht sehr sauber, was an der alten Frau liegen mochte, die sie versorgte. Die Übernachtung kostete nur eine Spende, aber wegen des Schmutzes waren die Pilger meist nicht zu spendabel, und die arme Frau knurrte leise über uns Geizhälse. Immerhin fanden sich an diesem Nachmittag etwa ein Dutzend Pilger in diesem Kaff ein. Die meisten, gingen zum Essen in die Bar, doch ich, Junzo und Tanja, eine junge Dänin, kochten zusammen Spaghetti. Öl, Wein, Oliven, Eier, Brot und Käse gab es in der jeweils kleinsten passenden Menge, wie wir sie gerade benötigten, in dem dunklen Verlies des Dorfhändlers zu kaufen, was Abenteuer an sich genug war. Wir sind trotz Hitze und Müdigkeit mehrere Male zu Dritt hin marschiert, um das eine oder andere, was wir zuvor vergaßen, zu holen, und bereuten es kein einziges Mal. Traf man auf der Straße niemanden außer ein paar struppigen Hunden, in dem Laden ging es hoch her. Und die runzligen, knorrigen Alten – junge Menschen gab es hier wohl keine — hatten stets viel zu erzählen, ächzen, rufen und lachen, so daß jeder Einkauf zu einem wahren Erlebnis wurde, so als würde man um die
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