Bis ans Ende der Welt
Das war schon etwas, auch wenn es jetzt am Morgen nur kaltes Wasser gab. Wenigstens gab es überhaupt welches, und alles war hier neu und blitzsauber. Doch wieder unterwegs, ging es mir sofort wieder schlecht. Seit dem Mittag des vergangenen Tages aß ich nichts Festes. Das Abendessen bestand aus zwei trotzigen Cola, das Frühstück aus einer Tasse Kamillentee. Vorräte konnte ich nicht mehr aufbieten, und es gab niemanden, bei dem ich hätte schnorren können. Außerdem verschlechterte sich meine Erkältung. Ich hatte eindeutig Fieber und nahm mir fest vor, künftig beim Wein zu bleiben und keine eiskalte Cola mehr zu trinken. Es war absurd, in dieser unbarmherzigen Hitzeglut Schüttelfrost zu haben. Schwitzen mußte ich natürlich um so mehr. So sehr, daß die Stiefel schon bald mit Schweiß voll liefen. Auch das war nichts Neues. Ich machte Pause und trocknete die Socken an der Sonne. Die Schürfwunde an der Innenseite der großen Zehe sah diesmal irgendwie violett aus, außerdem begann das Fußgelenk anzuschwellen. Ich packte lieber alles wieder ein und zog weiter. Der Horizont schwamm vor mir, und manchmal lief ich ein wenig zickzack. Da der Geist trübe war, funktionierte auch nicht der Trick mit dem fremden Körper. Es waren dreizehn sehr lange Kilometer bis Sahagún, aber ich kam an. Zu meiner Überraschung fand dort gerade ein Wochenmarkt oder ähnliches statt. Jedenfalls hatten alle Geschäfte auf, und die Stadt war voller Leute. Auch etliche Pilger trieben sich herum. In der Apotheke, die ich zuerst aufsuchte, hatte der Besitzer eine harte Zeit. Ein älterer Deutscher mit Nierenbeschwerden suchte Rat, wie man sie loswerden könnte, ich startete eine längere Diskussion über die Wirksamkeit diverser Mineralienpräparate unter perfekter Demonstration meiner Handkrämpfe, und als ich ging, stand schon eine ganze Reihe anderer Adepten Schlange. Keiner von uns wollte etwa zum Arzt, was vermutlich zu Verwicklungen, Zeitverlust und Geldausgaben führen würde, sondern der Apotheker sollte es schnell und billig richten. Natürlich fürchtete auch jeder von uns, vom Arzt nach Hause geschickt zu werden. Danach kaufte ich jede Menge leckere Lebensmittel ein und hätte sogar die Möglichkeit, auf dem Markt die dringend benötigte lange Hose zu erwerben, aber es war gerade keine Hosenzeit, und mir war nicht nach Einkaufen. So versteckte ich mich vor der Sonne im Schatten eines kleinen Parks, um endlich auch etwas zu essen, brachte aber zu meiner Überraschung kaum ein paar Bissen hinunter. Eine Tüte Milch und ein Stück frisches Brot war alles, was der Körper bereit war anzunehmen. Ein schlechtes Zeichen, wenn man bedachte, daß ich seit vierundzwanzig Stunden kaum etwas zu mir nahm. Ein paar französische Freunde kamen zufällig vorbei, und versuchten mich aufzumuntern, aber es machte mir Mühe, mich mit ihnen zu unterhalten. Am Ende marschierte ich lieber weiter, da das Herumsitzen auch keine Erholung brachte. Wenn ich schon zu leiden hatte, dann konnte ich es genauso im Gehen tun.
Das freilich hielt mich nicht davon ab, bei der erstbesten Gelegenheit wieder den härteren Weg zu wählen. Hinter Sahagún folgt der Hauptweg der Nationalstraße und der Autobahn, doch parallel dazu führt eine alte Römerstraße, die vom Führer als ruhig und einsam gelobt wurde. Ruhe und Einsamkeit – mehr braucht man mir nicht erzählen, um mich auf Abwege zu bringen. Auch wimmelte es hier plötzlich geradezu von Pilgern. Als ob sie vom Himmel gefallen wären. Sie wanderten in kleinen Gruppen laut schwatzend. Ein Engländer und eine Amerikanerin, die rüstig vor mir schritten, nervten mich eine ganze Weile mit leerem Geschwätz über Immobilienpreise und hochbezahlte Jobs in Indien und Australien. Konzernnomaden, für die es im Zeitalter der Globalisierung keine Grenzen, keine Heimat gibt. Es war mir unangenehm, in dieser Lage einem Geldgeschwätz zuhören zu müssen, aber ich hätte laufen müssen, um sie zu überholen. Ein aufgelöster Schürsenkel der Amerikanerin bot mir schließlich die Möglichkeit, sie dezent zu überholen, dann machte ich mich schnell davon. Es war gerade in einem Dorf, die Bewohner standen faul herum, quatschten und hielten Pilgerschau ab, während sich ein Dutzend räudiger Köter um sie herum trieb. Es waren auch ein paar kräftige Tiere mit gutem Gebiß dabei. Als ich auftauchte, machten sich einige wie gewohnt gleich davon oder stellten sich mit der Schnauze an die Wand wie die Juden an die
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