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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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effektiv wehren zu können. Und hätte er eins? Der letzte Irre, den ich so nahe kommen ließ, hatte ein Messer. Es war in Böhmen, und der Mann fühlte sich herausgefordert, weil ich – wohl zu Unrecht — einen dicken Mercedes mit deutschem Kennzeichen fuhr. Erst versperrte er mir die Parklücke, in die ich einfahren wollte, dann stellte er sich vor den Wagen, stampfte, spuckte und schrie: „Fuck, fuck, German!“ Er sei ein freier amerikanischer Bürger. Das war er dann doch nicht, sondern nur eine arme, irregeleitete tschechische Seele. Er verfolgte mich im Galopp über den ganzen Parkplatz, um eine Entschuldigung von mir zu erpressen, weil ich ihn „geistig minderbemittelt“ nannte. Ich sprach zu laut bei geöffnetem Fenster zu meiner Mutter, die daneben saß. Die Entschuldigung bekam er auch, sonst hätte er mich wohl abgestochen. Umgekehrt steht einem Pilger vor dem Herren nicht so einfach zu, einem anderen Menschen, irre oder nicht, Schaden zuzufügen. Vor allem, wenn man ihn vorher zu nahe kommen ließ. Also mimte ich nun den toten Käfer, vermied, ihn direkt anzusehen, tat rein gar nichts und harrte besserer Zeiten. Er drängte, schimpfte und spuckte, rollte die Augen. Er verlange seine Zweieuroachtzig für den Bus, das sei sein Recht, das lasse er sich nicht nehmen!
    Es kam gerade ein Señor vorbei, erfaßte die Lage mit einem Blick und wollte sich wie die anderen vor ihm im sicheren Abstand vorbeischleichen. Groß und schlank, vornehm angezogen, rasiert und frisiert, sah er nicht wie ein Patient aus, sondern vielmehr als eine Respektperson. Obwohl man sich in dieser Hinsicht nie sicher sein kann. Einmal hatte ich eine Stelle, die mich zwang, regelmäßig süddeutsche Psychiatrieanstalten zu besuchen. Ich verwechselte dabei immer die Ärzte mit den Patienten und umgekehrt. Der Unterschied mag auch nicht zu groß sein, daß man ihn unbedingt merken müßte. Aber hier gab es nichts zu verlieren, und nach der zweiten, schon recht verzweifelt klingenden Bitte, kehrte der Seňor abrupt um, faßte entschlossen den Spazierstock mit dem silbernen Knauf, daß die Handknöchel weiß wurden, trat auf den Irren zu und bat ihn streng, mich nicht länger zu belästigen. Er sähe doch, daß ich mit ihm nichts zu tun haben möchte. Noch nie war ich in Spanien mit jemanden so gleicher Meinung. Ich hätte seine Worte in Stein meißeln können. Umsonst argumentierte der Geisteskranke, ihm stünden die Fahrkosten unbedingt zu, das sei sein Recht und so weiter. Am Ende rückte er ab, ohne mich abzuschlachten, und ich meinerseits wartete nicht, ob er vielleicht seine Meinung ändern und noch zurückkehren würde, sondern bedankte mich bei dem Señor und schritt rasch davon. Der Herr habe ihn selig.
    Der Rest des Weges durch die Stadt bis zum Albergue der Benediktinerinnen war einfach schön und gut. Nichts tat mir mehr weh, alle Leute waren fröhlich und nett, und der Autoverkehr machte mich nicht nervös. Was so eine Begegnung der dritten Art denn alles ausmacht. Dennoch war es mein wichtigstes Ziel, mindestens für die nächsten zwei Tage den Aufenthalt in León sicherzustellen. Der Empfang im Innenhof des Klosters Carbajalas war zwar recht herzlich, so früh am Tag waren kaum noch andere Gäste da, und man hatte Zeit für mich, aber von einem Zweitageverbleib wollte man auch hier zunächst nichts hören. Ich mußte wie Christus dem ungläubigen Thomas anbieten, man möge doch die Hand in meine Wunde legen. Erst dann glaubte man. Die Wahrheit lag bei mir, und schwachen Naturen hätte es beim Anblick des rohen, schon violetten Fleisches schließlich auch durchaus übel werden können. Der Rest war mir gleich. Ich hatte diesmal nichts an den riesigen Schlafsälen, den zu wenigen Duschen und Toiletten und dem ganzen verflossenen Charme der spanischen Reconquista auszusetzen. Es gab zwar noch eine kommunale Herberge mit allen möglichen Errungenschaften wie Waschmaschinen und so weiter. Als ich mich an einem Pilgerinfostand nach dem Weg erkundigte, versuchte man, mich in die städtische Einrichtung zu lotsen und mir Prospekte zum hiesigen Nachtleben anzudrehen. Da sei es viel komfortabler als bei den Nonnen, man könne die ganze Nacht in der Stadt feiern, es werde nicht wie im Kloster um einundzwanzig Uhr die Pforte zugesperrt. Für die Pilgertouristen war es vielleicht was, aber ich wollte unbedingt in das Kloster der Benediktinerinnen. Vesper und Messe waren mir wichtiger als una discoteca al lado .
    Nun bezog ich —

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