Bis ans Ende der Welt (German Edition)
mich noch als Begleiter wünschten, und sie sagten ja mit großem Ernst. So war alles wieder beim alten. Doch für unsere kurze, zarte Beziehung war das heute eine ziemliche Krise.
Wegen der Reiseunterbrechung hatten wir an diesem Nachmittag viel Zeit zum Duschen, Waschen und Einkaufen. Die Mädchen verkrochen sich in die Schla f säcke und schliefen um die Wette. Um sechs aber waren sie fertig zur Messe. Den Gottesdienst hielt wieder der mitpilgernde Priester mit seinen Neffen als Ministranten. Leider gingen die Pfadfinderinnen verschütt, ich vermißte den Choral. Nach dem Gottesdienst kochten und aßen wir dann alle zusammen an dem langen Tisch im Aufenthaltsraum. Ich habe mich gefreut, den Geistlichen noch ein wenig mehr kennenzulernen. Er war ein angenehmer Tischgenosse. Wir teilten mit ihm unseren Wein, und er mit uns eine Flasche lokalen Kräute r likörs. Schade nur, daß mein Französisch keine zu komplizierten Gespräche e r laubte. Obwohl ich bei Elisabeth den ganzen Tag Freiunterricht hatte. Ich war immer noch in der Hör- und Fühlphase. Deshalb versprach ich fest, bald noc h mals nach Frankreich zu kommen und nicht eher weichen, bis ich die Sprache perfekt sprach. Vielleicht könnte ich ein Lektorat oder ein Stipendium beko m men.
Ich stellte mir die eintätige Ruhepause etwa wie in einem Hotel vor. Man bleibt auf dem Zimmer, schläft sich aus, frühstückt spät und verbummelt den Tag. Doch so funktionieren nicht die Gîtes . Sie sind nicht zum Wohnen, sondern nur zum Übernachten da. Sonst würden sie womöglich der lokalen Gastronomie bi l lige Konkurrenz machen. Um halb Zehn in der Frühe wurden wir rüde von der Putzfrau rausgeschmissen. Da haben wir nicht einmal gefrühstückt. Keine Di s kussion, keine Ausnahmen. Nicht einmal das Gepäck durften wir auf dem Zi m mer lassen. Arme Joanna, ihr hätte es wirklich gutgetan, wenigstens den einen Tag nur zu liegen. Statt dessen schlichen wir nun im Nieselregen durch nasse Gassen. Gut, daß es Sonntag war und um zehn Uhr ein Gottesdienst. Der wurde jedoch von dem Ortspfarrer gehalten. Sehr feierlich. Die Kirche war bis auf den letzten Platz voll, alle sangen aus vollem Hals, wenn auch keinen Choral. Der Pfarrer schmetterte eine beherzte Predigt ohne jeglichen liberalen Schnic k schnack hin. Keine Schonung für die Sünder, wie in meiner Heimatpfarrei leider sehr häufig. Nun aber passierte, daß Elisabeth die Heidin Joanna mit zur Ko m munion schleppte. Das tat sie immer. Wie bisher überall sonst bekäme sie statt der Hostie nur den Pilgersegen. Als aber der alte Pfarrer hörte, sie sei nicht ei n mal getauft, schmiß er sie hochkantig hinaus. Es war ziemlich peinlich, und die liebe fromme Sissi wußte ein Moment lang nichts Passendes zu sagen. Nicht einmal das große A. Ich allerdings als ein alter Pilgerhase murrte halblaut und ließ mich von dem strafenden Blick des Pfarrers nicht einschüchtern. Joanna war - getauft oder ungetauft - ein frommes Mädchen. Viel, viel frommer als viele mir bekannte katholische Christen und dazu noch voller kindlicher Unschuld. Den Pilgersegen hätte sie verdient, und er hätte ihr ihn auch geben können. W o anders segnete man allen Ernstes Autos. Wäre ich der Pfarrer, ich hätte sie auf der Stelle getauft und vielleicht so ihre Seele gerettet. Schließlich wissen wir weder den Tag noch die Stunde.
Nach dem Gottesdienst saßen wir unschlüssig auf der Kirchentreppe, bis es a n fing zu regnen, und wir wieder in die Kirche zogen. Kirche als Aufenthaltsraum für die Pilger. Warum nicht? Das habe ich unterwegs häufig erlebt. Vor Sonne und Regen war die Kirche ein sicherer Unterschlupf. Nun saßen wir verloren da, und sahen der abziehenden Gemeinde nach. Keiner von ihnen lud uns zu sich ein. Dabei wäre der Herr mitgekommen. Aber das haben die nicht wissen kö n nen, für sie war er unsichtbar. Sie sahen nur drei frierende, fußlahme Pilger mit fragwürdiger religiöser Abstammung. Also verzogen wir uns nach einer Weile in die Bar am Rathausplatz und aßen dort eine Omelette mit Kartoffeln. Wir tranken etwas und hatten gute Zeit, bis die Bremer vorbeikamen und ein schönes Foto von uns machten. Der Herr hat sie geschickt, weil niemand von uns eine Kamera hatte, und mir bliebe sonst nichts, als nur eine nebelhafte Erinnerung. Ich glaube, wir waren ziemlich die einzigen, die keine Kamera bei sich hatten. Später tauchte noch ein Trupp wandernder Rekruten auf, schnupperte eine Weile um das Gefallenendenkmal herum, ließen
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