Bis ans Ende der Welt (German Edition)
strömten die Gäste durch den Eingang ein und aus. Es verging keine Minute, als nicht jemand dicht an mir vorbeiginge. Ich kann Leute im Nacken nicht vertragen und litt dabei wie ein Hund. Die Bremer aber fanden den Platz perfekt und versäumten nicht, es die ganze Zeit zu betonen. Sie kamen gerade aus Deutschland, für sie war alles frisch und interessant, und sie hatten Geld genug, um nicht im Urlaub knausern zu müssen. Preise interessierten sie nicht. Es störte sie auch nicht, daß der Tisch nach dem Essen nicht abgeräumt wurde und wir zwanzig Minuten an der Kasse warten mußten, um die Rechnung zu bezahlen. Ich bezahlte zweimal so viel als Elisabeth für das Pilgermenü in einem netten, vornehmen Restaurant und mußte mir nachher von ihr vorwerfen lassen, sie versetzt zu haben. Dabei habe ich mich an das gemeinsame dînée mit den Mädchen so gefreut. Der Tag war schwer genug, das gemeinsame Mahl hätte ihn gerettet. Es hätte auch nur Wurst, Brot und Käse mit einer Flasche Rotwein an der Kirchentreppe sein können.
Saint-Chély-d’Aubrac, km 1440
Ich setzte den Weg am nächsten Tag mit den Mädchen allein fort. Es war ein grauer, kalter Morgen, erst später besserte sich das Wetter. Thomas hat sich nun endgültig von uns verabschiedet, später erzählten uns nachfolgende Pilger, sie hätten ihn auf dem Camino zurückgehen gesehen. Das verstand ich nicht ganz, da hätte er doch noch bis Saint-Côme-d’Olt mitkommen und von dort den Bus nehmen können. Wir marschierten über die wilde, steinige Hochebene, die jetzt eine Kuhweide, doch im Mittelalter noch ein dichter Wald war. Räuber trieben hier ihr Unwesen, Natur und Wetter kamen hinzu. Die Einheimischen waren ebenso wenig sicher wie die Reisenden. Das Stadtchen Saint-Chély wurde im Jahre 1385 von Banditen so gründlich zerstört, daß es erst fünfunddreißig Jahre später aufgebaut werden konnte. Dieser Abschnitt gehörte einst zu den wohl g e fährlichsten des Camino. Der flandrische Graf Adalard, der hier nur knapp dem Tod entkam, gründete an der Stelle im Jahre 1120 das Pilgerhospiz Notre-Dame-des-Pouvres , das später ein sehr mächtiges Kloster wurde, bis es in den Relig i onskriegen wie vieles andere hier gänzlich unterging. Zurückgeblieben ist eine mächtige romanische Kirche, innen bar jeden Schmucks, verstaubt und abwe i send. Doch voll des Herrn. Welche Kraft, welche Ausstrahlung! Dies war sein Ort, ohne Zweifel. Wir blieben, meditierten und sogen uns voll der Kraft. Ein großes Haus an der Straße diente dem Tourismus, aber im Augenblick gab es keine störenden Touristen, und wir hatten die Kirche fast eine Stunde nur für uns. Wir trennten uns ungern von diesem Ort. Am Ende mußte ich nochmals z u rück, weil ich meinen Sonnenhut und den Pilgerstab dort vergaß. Der Herr war noch da, und ich mußte mich direkt losreißen, um wegzukommen. Es war ein guter Ort.
Damit haben wir den Kamm überschritten und das Aubrac-Hochland hinter uns gelassen. Landschaftlich was es wohl das aufregendste Stück der Pilgerreise. Es hätte mich überhaupt nicht gewundert, wenn plötzlich irgendwo ein Trupp b e waffneter Ritter angeritten käme. Nun erwartete uns ein steiler Abstieg ins Tal des Lot . Unser heutiges Planziel, Saint-Côme-d’Olt, lag ganze achthundert M e ter tiefer. Und bergab steigt es sich schwieriger als umgekehrt. Aber so weit sol l ten wir heute gar nicht kommen.
Um diese Zeit wuchs mein Reiseanhang auf fünf hübsche Begleiterinnen. St e phanie war nun mit dabei, fidel und fast vollkommen wiederhergestellt. Im G e gensatz zu Joanna fand sie ihr Tempo, das sie dauerhaft halten konnte. Es war schon fast ein Harem, und ich hatte keine Ahnung, was die Mädchen anzog. Es war auffällig, und man fing an, darüber witzige Bemerkungen zu machen. Me i ner Eitelkeit mag es noch gut getan haben, aber es hatte auch Nachteile. So viele attraktive Jungfern zogen Männer wie Fliegen an. Ständig versuchten welche, sich unserer Gruppe anzuschließen und galante Gespräche zu knüpfen. Die Jungs umkreisten uns wie Wölfe die Schafsherde. Elisabeth und Joanna hielten zueinander und unterhielten sich über Klamotten und andere Mädchensachen, bei denen ich bestenfalls nur diskret zuhören konnte. Überall Getümmel und Lustbarkeit.
Am Ende fühlte ich mich in der Menge allein und ausgeschlossen. Und ich hatte genug. In der Pause beklagte ich mich bei Joanna, die daraus schloß, ich möchte sie verlassen und allein weitergehen. Sie nahm ihre Sachen,
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