Bis ans Ende der Welt (German Edition)
tausend Bilder machen kann? Da machte ich nun die ultimative Reise meines Lebens und brachte nicht einmal ein Foto mit heim. War es nicht seltsam?
Heute sollten wir wieder in einem Kloster übernachten. Es hieß Couvent de M a let und gehörte den Ursulinen. Die Übernachtung kostete nur eine Spende. Das war im Gegensatz zu der Schweiz oder Deutschland in den religiösen Einric h tungen Frankreichs fast die Regel. Man mußte nicht notwendigerweise wenig geben. Die französischen Pilger, die ich näher kennenlernte, waren meist Abso l venten der katholischen Lyzeen, besser ausgebildet und besser situiert, wenn auch nicht reich, so zumindest gut versorgt. Doch traf ich auch ein paar ganz reiche Leute. Unter diesen Menschen gehörte es zu guter Sitte, einmal im Leben das Camino zu gehen. Meist in kleinen Abschnitten von einer bis zwei Wochen. Ich weiß nicht, wieviel diese Menschen spendeten, aber für jene mit wenig Geld wie Joanna war es ja direkt eine Wohltat, für einen nur geringen Betrag Dach überm Kopf zu haben.
Ich freute mich schon auf die Vesper. Das letzte Stück ging es nur bergab, schon lange vor dem Ziel konnte man unten im Tal die Stadt sehen. Elisabeth lief plötzlich vor lauter Ungeduld voraus, Joanna spürte gleich das Knie. Wenigstens weinte sie jetzt nicht mehr. Es war gut, daß das Kloster noch vor der Stadt lag, so gab es nichts, was uns abgelenkt hätte. Die zwei, drei Autos, die auf der Str a ße an uns vorbei sausten, reichten mir völlig. In dieser Landschaft waren sie ein Anachronismus. Bald lag das Kloster zu unseren Füßen, und die Stimmung stieg. Es war eine stattliche, schloßartige Anlage. Viel zu groß für die paar Schwestern. So haben sie das Haus für Pilger geöffnet. Alles war sehr sauber und perfekt organisiert, alles vorbereitet. Joanna, Elisabeth und ich bekamen ein großes Appartement mit Küche, Bad, Schlafzimmer und Aufenthaltsraum. Das konnten wir zu dritt unmöglich ausfüllen.
Unser Freude über den Luxus trübte Sissi, die irgendwo ihre Geldbörse verlor. Das war wohl die Strafe für die geschwänzte Übernachtungsgebühr in Saint-Chély. Wir riefen an allen möglichen Stellen an und befragten alle möglichen Pilger, die nach uns kamen. Wir gingen ja alle denselben Weg, passierten di e selben Stellen. Alles war vergeblich. Dabei ging es nicht einmal so sehr um das Bargeld, sondern um die Kreditkarten und andere Ausweise. Sissi trug den Ve r lust mit einer Röte im Gesicht, doch relativ tapfer. Mir tat sie trotzdem leid. Was konnte ich tun, wie konnte ich helfen? Als alle Mittel erschöpft, alle Taschen und Ecken zehnmal durchsucht und alle Alternativen besprochen waren, bat ich den Herrn um ein Zeichen. Dann ließ ich Sissi nochmals im Rucksack nachs e hen. Und siehe da, das gesuchte Portemonnaie war wieder da. Die Mädchen s a hen ziemlich verblüfft aus, aber ich war es schon gewohnt. In dieser Hinsicht war auf den Herrn voll Verlaß. Ich kassierte für ihn zwei dicke Küsse.
Vor dem Abendessen gab es noch einen zweisprachigen Gottesdienst. Wegen der deutschen Gäste waren die Lesungen und Fürbitten auch in Deutsch. Es war eine relativ intime Angelegenheit, weil wir nicht mehr als zwei Dutzend Pilger und ein paar Schwestern waren. Dazu reichte der Altarraum, wo man im Hal b kreis Stühle plazierte. Ich sollte das deutsche Part übernehmen und übersetzen, was mich etwas nervös machte. Es war für mich nämlich das erste Mal. Ich fürchte, meine Stimme zitterte ein wenig, aber Elisabeth strahlte mich stolz an, weil ich mich nicht drückte und tapfer schlug. Die Stimmung war perfekt. Das Abendessen danach fand gemeinsam mit den Schwestern in Refektorium statt. Sie hatten keine Berührungsängste wie die Benediktiner in Einsiedeln.
Nach dem Abendessen wollte ich im Park die Abendstimmung genießen und stieß am Brunnen auf eine religiöse Gesprächsrunde. Der Herr Abbé hielt sie zum Zwecke der religiösen Erbauung ab. Ich kam nur zufällig dazu und wäre gleich verschwunden, wenn es statthaft gewesen wäre. Man mußte nämlich der Reihe nach über seine Glaubenserfahrungen auf dem Camino erzählen. Solche Dinge liegen mir nicht so sehr. Glaubenssachen halte ich für eine intime Ang e legenheit. Auch wollte ich niemanden in seinen Gefühlen verletzen. Die anw e senden Franzosen schienen darin mehr erfahren. Jedenfalls brachten sie gewandt tiefgehende Ideen zutage. Ich hoffte, man würde mich als Ausländer schonen, oder ich könnte mich bei den Mädchen irgendwie
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